Schusswechsel am Vormittag

Bei der Aktion gegen al-Qaida soll es zu einem Feuergefecht gekommen sein. Nach einer anderen Version wurde Binalshibh im Schlaf überrascht

Für Pakistans Präsident kommtder Erfolg zumrichtigen Zeitpunkt

aus Delhi BERNARD IMHASLY

Am 11. September um neun Uhr morgens Lokalzeit, so lautet eine Version des Hergangs, begab sich ein kleines Team von Polizisten in das Mittelklassequartier der „Defence Housing Authority“ in der pakistanischen Hafenstadt Karatschi. Aufgrund abgehörter Satellitentelefonate bestand der Verdacht, dass Ausländer im Haus C-63 ein Büro führten, das Taliban und Al-Qaida-Mitgliedern Identitätspapiere für die Flucht ins Ausland verschaffte. Als die Beamten vor dem Haus zwei Verdächtige verhafteten, wurden sie vom dritten Stock des Apartmentblocks sofort unter Beschuss genommen.

Die rasch herbeigerufene Verstärkung der paramilitärischen „Rangers“, die wegen des Jahrestags der Attentate ohnehin in Alarmbereitschaft standen, riegelte das Quartier ab. Rund 150 Beamte verwickelten die Belagerten darauf in ein dreistündiges Feuergefecht. Als sich die Männer – nach der Erschießung des angeblichen Anführers und eines weiteren Verteidigers – um die Mittagszeit ergaben und abgeführt wurden, wusste die Polizei noch nicht, dass sich unter den acht Jemeniten, einem Ägypter und einem Saudi auch Ramsi Binalshibh befand.

Gemäß einer anderen Version, die sich auf pakistanische Geheimdienstquellen beruft und in der Washington Post vom Sonntag wiedergegeben wird, war Binalshibh bereits in der Nacht zum Mittwoch verhaftet worden, als Beamte in Zivil in dieselbe Wohnung eindrangen und ihn im Schlaf überraschten und ohne Widerstand abführten. Binalshibhs Name war erst am Tag zuvor in die Schlagzeilen geraten, als der arabische Fernsehsender al-Dschasira Auszüge eines Interviews mit ihm veröffentlichte. Darin gab er zu, Mitglied von al-Qaida zu sein (siehe unten). Er bestätigte auch, dass die Organisation 1998 hinter den Attentaten auf die amerikanischen Botschaften in Nairobi und Daressalam stand. Im Protokoll gibt sich Binalshibh auch als der Mann zu erkennen, der mit Mohammed Atta in Hamburg gelebt und sich kurz vor dem 11. September nach Madrid abgesetzt hatte. Dies führte in den US-Medien zu Spekulationen, dass der Jemenit der fehlende Fünfte in der Gruppe der Attentäter sein könnte, die am 11. September 2001 die Crew des United-Airlines-Flugs 93 überwältigten und das Flugzeug in das Kongressgebäude in Washington rammen wollten.

Die Bedeutung der Festnahme von Binalshibh – und möglicherweise weiterer Al-Qaida-Verdächtigen – wurde den Behörden in Karatschi offenbar rasch klar. Die Verhafteten sollen noch am gleichen Tag in ein geheimes Untersuchungszentrum in der Nähe des Flughafens von Karatschi gebracht worden sein. Am Samstag stellte Innenminister Moinuddin Haider in Abrede, dass Binalshibh bereits in die USA oder nach Deutschland ausgeliefert worden sei. Der „zwanzigste Attentäter“ wird voraussichtlich an die USA ausgeliefert, zumal Deutschland bereits einen Verzicht angekündigt hat. Pakistan arbeitet mit dem FBI bei der Verfolgung von Al-Qaida-Verdächtigen eng zusammen. Die amerikanische Kriminalbehörde unterhält in Pakistan Verbindungsbüros, und die Zusammenarbeit mit pakistanischen Sondereinheiten hat bereits im März zur Festnahme von Abu Zubaydah geführt, dem Finanzchef von al-Qaida.

Der pakistanische Präsident Pervez Musharraf, der sich wegen der UNO-Generalversammlung in den USA aufhält, hat seine Sicherheitskräfte zu diesem „wichtigen Fang“ beglückwünscht. Der Zeitpunkt der Verhaftung Binalshibhs fällt für ihn gerade richtig. Sie gibt ihm die Möglichkeit, die zentrale Rolle Pakistans in der Terrorbekämpfung herauszustreichen, in einem Augenblick, in dem er Regierung und Öffentlichkeit in den USA zu überzeugen versucht, dass er ein verlässlicher Alliierter ist. In den letzten Wochen hat sich die internationale Kritik an seinem autokratischen Gebaren und seiner harten Kaschmirpolitik wieder verschärft. Bei seinem Auftritt vor der UNO-Generalversammlung hatte er die am Montag beginnende Wahl im indischen Teil Kaschmirs als Schwindel bezeichnet. Indien sieht darin ein Motiv dafür, dass wieder mehr Untergrundkämpfer über die Grenze gelangen.

Die Verhaftung Ramsi Binalshibhs zeigt auch die Kehrseite Pakistans. Die dortigen Großstädte, allen voran Karatschi mit seinem ethnischen Gemisch und seiner virulenten Untergrundszene, dürfte für Al-Qaida-Kader ein sichererer Fluchtort sein als die siedlungsarme Gebirgswüste in der Grenzregion zu Afghanistan.