Stricknadeln gegen Mölle

Regisseur und Showmaster Christoph Schlingensief mit seinem Aufruf „Tötet Politik! - aber wählt Grün“, im Schlachthof. Schlingensief jagt den Widerspruch und bohrt Möllemann ein Auge aus

Bloß nichts nachmachen, es ist alles Kunst und nicht ernst zu nehmenSchlingensief labert und brüllt und knallt uns mit Abscheulichkeiten zu

Noch zwei Tage bis zur Wahl. Noch zwei Tage Gesabbel vom öffentlich-rechtlichen bis zum hinterletzten Spartenkanal. Zwei Tage und wir sind erlöst von Lügen, Versprechen und Hickhack. Sie blubbern was von Zukunft über unsere Mattscheiben, als gäb‘s keine Bosheit auf der Welt. Einer profilneurotischer als der andere.

Auch Bremen hat es jetzt fast geschafft. Der König der Profilneurotiker war da. Christoph Schlingensief mit seiner Quizshow „Tötet Politik“ im Schlachthof. Viele kamen aus ihren Löchern: Schlingensief-Groupies, Nichtwähler, Arbeitslose, Gewerkschaftsvertreter, Schüler, Auszubildende, Dauer-68er. Und der Mann vom Verfassungsschutz. Der passte auf, dass Schlingensief darauf hinwies, alles in seiner Show sei Kunst. Bloß nichts nachmachen, es ist alles Kunst und nicht ernst zu nehmen. Bloß Kunst.

Bloß Kunst? Vier neurotische Medienfressen stehen als Portraits vor seinem Rednerpult: Möllemann, Friedman, Cohn-Bendit und Fassbinder. Mölle und Friedman haben Schlingensief mit ihren gegenseitigen Verbalattacken den Stoff für die abendfüllende Show geliefert. Daher auch der Mann vom Verfassungsschutz. Der Hintergrund: Im Juni, als Mölle den israelischen Ministerpräsidenten Ariel Scharon als „Kriegstreiber“ bezeichnet hatte, schaltete sich Friedman ein (Vize des Zentralrats der Juden), und schwups: Mölle war der böse rechtspopulistische Hansel. Daraufhin fuhr Schlingensief zu Mölles Firma und rief zum Mord an Mölle auf.

Seitdem ermittelt der Verfassungsschutz gegen Schlingensief. Ohne den Kunsthinweis darf Schlingensief nun nicht mehr zum Mord aufrufen. Dafür darf er 18 Martin-Walser-Bücher („Tod eines Kritikers“), tote Fische und jede Menge Patronenhülsen in irgendwelche Vorgärten oder ins Bremer Publikum kippen. Mölle muss sterben, auch an diesem Abend, Mölle muss weg. Mit Voodoo-Zauber und Bohrmaschine, mit Rotwein und Stricknadeln.

Assistenten aus dem Publikum helfen bei der Tötungszeremonie, während Schlingensief die Botschaft des Abends durch sein Kopfmikro bellt. „Wählt Grün!“ Aha. Tötet Politik, aber wählt Grün. Auch schön geworden. Schlingensief labert, brüllt, will uns aus dem Nichtwählerschlaf erwecken, uns aus dem Teufelsdreieck „Produkt, Konsum, Kapital“ befreien und knallt uns mit Abscheulichkeiten von der Videoleinwand zu.

Und wozu das Ganze? Um uns zu sagen: „Schlaft Kinder, schlaft euch den Medien-Rausch aus, schlaft, bis der Wahlzauber vorüber ist. Ändern, ändern lässt sich sowieso nichts, wir produzieren Scheiße, und nur weil uns Mutti damals erzählt hat, unsere Scheiße ist ‘ne tolle Scheiße, glauben wir als Erwachsene immer noch, die Scheiße ist ‘ne tolle Scheiße.“

Na Danke. Und Fassbinder? Fassbinder schweigt, einer, der nichts mehr sagen kann. Das wär doch mal was. Schlingensief eine halbe Stunde zur Primetime auf RTL, schweigend, nichtssagend. Das wär mehr als „Tötet Politik!“ Hannes Krug