Feministisch heilen lernen

Bei der selbstbestimmten Heilpraktikerinnenschule Alchemilla bestimmen die Schülerinnen selbst, was sie von wem lernen wollen, und erreichen damit die höchste Prüfungserfolgsquote

von BIRTE GOLDT

Edeltraut ist der einzige Mann, der in den Räumen von Alchemilla im Schanzenviertel zugelassen ist. Denn Edeltraut ist ein Plastikskelett, das deutlich macht, wie sehr die Medizin noch immer eine männlich dominierte Wissenschaft ist. Studierende lernen dort anhand von männlichen Bildern, die weibliche Anatomie wird selten berücksichtigt. Das ist einer der Gründe, warum vor 16 Jahren ein paar Frauen die Heilpraktikerinnenschule gegründet haben. Sie wollten selbstbestimmt entscheiden, was sie lernen wollen.

Frauen zur Sprache bringen

Auch die Frauen, die heute bei Alchemilla ihre Ausbildung machen, wissen genau, worin die Vorteile einer Frauenschule liegen. „Es ist ein ganz anderes Lernen“, sagt Joenna Platen, eine der 44 Schülerinnen, die zur Zeit bei Alchemilla sind. „Wenn Typen dabei sind, ist man nicht so frei, zum Beispiel bei der Massage.“ Es sei auch „ein Raum für Frauen, die Scheiße erlebt haben“, die hier ihre Blockaden beim Körperkontakt abbauen können. Und nicht zuletzt gehe es auch darum, „altes Heilerinnenwissen wieder zu nutzen“, erklärt Anja Rabeneck, „und Frauen zur Sprache zu bringen, nicht nur in der Gynäkologie“.

Ein für alle Frauen sehr wichtiger Aspekt der Schule ist die Selbstverwaltung. So gibt es nur eine feste Stelle im Büro, dafür aber jeden Monat ein Plenum. Und wenn mal eine Glühbirne kaputt ist, dann gibt es eben keinen Hausmeister, der das richtet. „Die Selbstverwaltung ist wichtig, weil das später im Beruf auch so ist“, findet Anna Rohlfing, „Wir wählen unsere Lehrerinnen“, betont sie, diese stellen sich vor und anschließend entscheidet das Plenum.

Durch Mehrheitsbeschluss bestimmen die Schülerinnen auch, welche zwei „kleinen Kurse“, etwa Bachblütentherapie oder Fußreflexzonenmassage, im Schulhalbjahr drankommen. Diese Angebote dürfen sich erst nach drei Jahren wiederholen, so dass jede während ihrer Ausbildung alle zwölf Kurse besuchen kann. Die vier großen Bereiche – Traditionelle Chinesische Medizin, Homöopathie, Pflanzenheikunde und Astrologie – werden über zwei Jahre belegt. Zentraler Bestandteil der Ausbildung ist neben einjährigen Shiatsu- und Massagekursen der Grundlagenunterricht, in dem medizinische Kenntnisse vermittelt werden. Im letzten Jahr belegen die Schülerinnen den Vorbereitungskurs für die staatliche HeilpraktikerInnenprüfung. Die Frauen sind stolz darauf, dass Alchemilla die beste Bestehensquote in Hamburg hat, denn „es sind sogar schon Ärzte durchgefallen, die seit zehn Jahren praktizieren“, weiß die Büroangestellte Gisela Maas.

Behandeln in schuleigener Heilpraxis

Eine Besonderheit ist auch das Ambulatorium. In der schuleigenen Heilpraxis können die Schülerinnen betreut Patientinnen behandeln. Denn alle Lehrerinnen sind praktizierende Heilpraktikerinnen, wie zum Beispiel Paula Ellen Kleine-Vortmeyer, die den Shiatsu-Unterricht gibt. Diese japanische Methode soll „die Körperfunktionen wieder in die eigene Regulation bringen und die Körperenergien ausgleichen“, erklärt Kleine-Vortmeyer. Im Gegensatz zur Akupunktur wird beim Shiatsu mit dem Einsatz des Körpergewichts gearbeitet.

Die Finanzierung von Alchemilla läuft über Spenden und die Vermietung der Räume an andere Frauen, aber hauptsächlich durch das Schulgeld. Das ist es den Frauen aber wert, und Anna Rohlfing bringt es auf den Punkt: „Wenn eine sich morgens schlecht fühlt, geht es ihr wieder gut, sobald sie hier ist.“