Anarchie und Ruhe

Viel Raum für Slapstick: „Zeit zu lieben Zeit zu sterben“ von Fritz Kater und Armin Petras am Thalia Gaußstraße

Am Schluss ist „der Planet erloschen“, funktioniert die Paarbeziehung nicht mehr. „Ich fühl nichts mehr, es war ein Irrtum, ich liebe einen Mann, den Du nicht kennst, der mich nicht liebt“, sagt Fritzi Haberlandt als „Frau“ zum „Mann“, Milan Peschel. Da ist die Inszenierung nach zwei Episoden im Osten im heutigen Westen angelangt. Die Gruppe, der „Chor“, ist längst dahingeschmolzen, „weil er nicht mehr kann“.

Zeigte das Autoren- und Regieduo Fritz Kater und Armin Petras in dem Überraschungserfolg Fight City. Vineta noch eine Riege liebenswerter, aber heimatloser Wendeverlierer, beobachten wir in Katers Zeit zu lieben Zeit zu sterben nun junge Menschen, die irgendwie mit Würde erwachsen werden wollen. Später sehen wir sie bei dem Versuch stranden, eine Liebe ohne gesellschaftlichen Zusammenhang zu leben. Für die Bühne des Thalia Gaußstraße eingerichtet hat die Uraufführung wieder Regisseur Armin Petras, der auch diesmal eisern jede Personalunion mit dem Autor leugnet.

Wo Kater in Fight City noch eine Geschichte aus einem Garn strickte, ist hier alles ins Episodische aufgelöst. Mit Lust vollzieht das spielfreudige Ensemble – darunter erneut Haberlandt, Peschel und Kurth – mehrfache Rollenwechsel. Peter Jordan überschlägt sich fast in einer Stand-up-Comedy-Einlage als Fußballfan. Milan Peschel schwellt stolz seine Ché-Guevara-Shirt-verzierte Brust. Sie reden von Liebe und ersten verunglückten Paarungsversuchen. Am Ende streifen sie die Uniformen über.

Im zweiten Teil bemüht sich Kater um eine Geschichte. Ein Mann hat eine Familie verlassen, darunter die minderjährigen Brüder Peter (Peter Jordan) und Ralf (Hans Löw). Der Onkel, Peter Kurth mit Koteletten und Columbo-Mantel, kommt aus dem Knast und wird von dem kleinbürgerlichen Mief der abgehalfterten Mutter (großartig: Verena Reichhardt) liebevoll aufgenommen. Die Brüder haben andere Sorgen. Tanzstunde, Foxtrott, und die Liebe zu derselben Frau, der feschen Adriana (Fritzi Haberlandt). Am Ende bleibt nur der willkürliche Gruppensex. Immer wieder durchbricht Petras auch hier den szenischen Rahmen, lässt seinem Personal viel Raum für Slapstick, Wasser- und Blutschlachten. Die Ruhe danach rettet das Stück davor, bei aller prallen Anarchie in platte Comedy abzudriften.

Annette Stiekele

weitere Vorstellungen: 27.9., 29.9., 5.10., 6.10., 18.10, jeweils 20 Uhr, Thalia in der Gaußstraße