Stillstand in der Bewegung

Die Ausstellung „Living in Motion“ im Vitra Design Museum Berlin zeigt ausgewählte Beispiele „beweglichen“ Designs und Wohnens. Leider wirken die Exponate dabei seltsam starr und museal

von THOMAS PAUL

Der Bewegung des Wohnens sind kaum Grenzen gesetzt: Es betrifft den Hocker, der umgeklappt als Bücherleiter benutzt werden kann, und auch das tragbare Laptop gehört dazu. Schließlich stemmt sich bereits der Begriff „Möbel“ gegen alles Starre. „Living in Motion“, betitelte das Vitra Design Museum seine Wanderausstellung zum Thema, die derzeit in der Berliner Dependance zu sehen ist.

Die ausgestellten Exponate entstammen allesamt dem Wohnumfeld. Doch aufgrund der großen Bandbreite taten sich die Organisatoren naturgemäß schwer mit der Abgrenzung. Zur Strukturierung hat der Kurator Matthias Schmidt-Clauss die sechs Funktionstypen „Montieren + Demontieren“, „Transportieren“, „Falten + Entfalten“, „Kombinieren“, „Anpassen“ und als Sonderform „Tragen + Mitnehmen“ unterschieden. Darüber hinaus beschränkt sich der Blick auf „Lösungen, die auf unsere (westliche) Situation angewendet werden können“.

Die Begriffe Flexibilität und Mobilität bevölkern die einschlägige Presse bereits seit längerer Zeit. Die Aktualität ist zum einen den sich verändernden sozialen Gruppierungen geschuldet, die heute die Wohnklientel bilden, zum Zweiten aus der Bereitschaft zu häufigen Wechseln des Wohnumfeldes entstanden und zum Dritten der Begrenzung von Raum geschuldet. Letzteres meint vor allem den Willen, sich auf wenige Quadratmeter zu beschränken, um sich dem Druck der voll gestopften Konsumentenwelt zu entziehen.

Der vom Berliner Museumsleiter Mateo Kries reklamierten Perspektive eines Designmuseums ist zu verdanken, dass hier einige „alte Bekannte“ auftauchen: von Alvar Aaltos Hockern über den aufblasbaren Sessel „Blow“ bis hin zum schlauchbootartigen Klappsofa „Anfibio“ von Alessandro Becchi. Alles hat irgendwie mit Bewegung zu tun, doch – mit Verlaub – wo ist der rote Faden? Soll es nicht bei einem müßigen Wandel durch zweifelsohne ästhetischen Exponaten bleiben, mit dem ein Sonntagnachmittag bestritten wird, muss gefragt werden, wo die Ausstellung über eine ausgewählte Bestandsaufnahme hinausgeht.

Die Antwort auf die Absicht des Projekts „Living in Motion“ liegt zwischen den Zeilen und ist vor allem im umfangreichen Katalog zu finden. Der historische Teil bezieht sich folgerichtig auf japanische Wohnkultur und moderne Architektur, die miteinander verbunden sind. Beweglichkeit heißt hier, Mobilar, aber auch ganze Räume der Bindung an eine Nutzung und einen Ort zu entziehen. Im Interieur werden die beweglichen Feuerstellen aus dem Japan des 19. Jahrhunderts ebenso erfasst wie der Faltsessel von Marcel Breuer aus den Bauhaus-Jahren, in der Architektur das bahnbrechende „Schräder-Schröder-Haus“ in Utrecht von dem holländischen Architekten Gerrit Rietveld – ein zum Gebäude gewordener Klappmechanismus – ebenso wie Rem Koolhaas’ „Maison à Bordeaux“, in dem der an den Rollstuhl gefesselte Bauherr mit einem zimmergroßen Aufzug durch alle Ebenen gleiten kann.

Spannender sind die vorgestellten Häuser des japanischen Architekten Shigeru Ban, von denen das „Naked House“ auf das verweist, was vielleicht das Ziel der Veranstaltung ist: den reinen Raum mit beweglichen, fast selbst raumgroßen Objekten immer wieder anders zu bespielen. Das andere Ziel wäre genau das Gegenteil, nämlich Raum und Mobilar zu einer Einheit zu verschmelzen und es durch diese Reduktion leicht transportabel zu machen, wie das von Open Office/Copenhagen Office auch in der Ausstellung aufgebaute „NhEW-PAD“ zeigt.

Da wäre der Sprung zur spontanen Architektur etwa in den Favelas von Rio de Janeiro oder den Slums von Kairo nicht weit. Da hier Themen wie Obdachlosigkeit oder Flucht dahinter stehen, die sich nicht in repräsentativen Boxen rund um die Welt verschicken lassen, verzichtete das Vitra Design Museum wohl auf derlei Einlassungen. Das ist bedauerlich, weil damit die Möglichkeit zum persönlichen kreativen Sprung des Rezipienten verspielt wird. Denn allein als Erzeugnisse vergangener Kulturen oder bekannter Designer werden selbst aktuelle Gegenstände museal und zeigen sich ungewollt vor allem so: im Stillstand.

Die Ausstellung läuft bis zum 13. Januar 2003, Vitra Design Museum Berlin, Kopenhagener Straße 58, 10437 Berlin, Di.–So. 11–20 Uhr, Fr. bis 22 Uhr, Katalog 49 Euro. Am 24. Oktober findet um 20 Uhr unter dem Titel „Berlin in Motion“ eine Präsentation einschlägiger Entwürfe Berliner Designer und Architekten statt.