Poesie und du

Filmmusik für Melodramen: Das Elektronikduo „Tarwater“ am Sonnabend im Westwerk

Ronald Lippok und Bernd Jestram, alias Tarwater, verlassen die Dunkelheit. Waren ihre letzten Alben noch am besten zu charakterisieren mit dramatisch tief, düster dicht oder auch schwermütig trist, wandelt Dwellers on the Threshold auf verhalten freudigen Pfaden. Tarwater sind fröhlicher, leichter und geben sich beschwingt dandyhaft einer feingliedrigen Easy Listening-Haltung hin. Wenn auch zaghaft, sie machen schließlich Filmmusik für Melodramen.

Weiter setzen Tarwater flüchtig gefundene Sounds und Lyrics zusammen zu dramatischen bis verspielten Patchworks. „Alle Tracks“, erklärt Ronald Lippok, „entstehen beim Aufnahmeprozess. Wir nehmen eine Sequenz oder ein Sample als Grundlage und schichten Sachen darüber. Spielerisch. Am Anfang ist nicht geklärt, ob es ein Instrumental- oder Gesangsstück wird.“ Die Herkunft der Samples ist unwichtig: „Referenzen spielen keine Rolle. Sie sind Soundquellen, ob Sequenz aus dem Synthesizer oder ein Rhythmus. Auch der Gesang funktioniert als gleichberechtigtes Soundelement. Ich finde es schwierig, einen Track auf einem Sample aufzubauen von etwas, das man schon kennt. Wenn es schon ausformuliert ist, kann man schlecht zu neuen, relevanten Ergebnissen kommen.“

Kommen wir zur Sprache als gleichberechtigtes Element. „Wir haben entdeckt, das man mit Sprache Tracks gut strukturieren kann, dass die Emotionalität von Sprache als Soundqualität wirksam wird“, sagt Lippok. Was Tarwater damit zaubern, ist schön nachdenklicher, meditativer Pop. Darf ich Pop-Collagen sagen? „Wir benutzen natürlich Techniken der klassischen Avantgarde, wie Cut-up oder Schichtung. Am Ende sollte ein organisches Werk stehen, was im Popsinne benutzbar ist. Pop benutzen wir nicht als Genrebegriff, sondern im plattesten Sinne als populär. Dass man ohne Voraussetzung Teil der Sache werden kann“, sagt er. Klingt wie verkopfte Typen, die ihre Verkopftheit beim Musikmachen über Bord werfen, aber nicht den Computer für die Techniken.

Seit langem bewegen sie sich auch im Film- und Kunstkontext, komponieren Soundtracks für Filme und Projekte und machen im Moment die Musik für ein Theaterstück, das in Dresden aufgeführt werden soll. „Von Anfang an haben wir mit Leuten zusammengearbeitet, die Filme machten“, so Lippok. „Als wir 1982 mit der Punkrockband Rosa Extra im Prenzlauer Berg anfingen, wurden die Texte von Dichtern geschrieben. Die lagen da auf Bierdeckeln oder als Kopien im Proberaum rum. Als wir uns das erste Mal zum Proben getroffen und die Texte gesehen haben, dachten wir: Poesie, das kann auch was mit dir zu tun haben.“

Verena Dauerer

Sonnabend, 21 Uhr, Westwerk