Herzlichen Glückwunsch!

Die richtigen Versprecher der richtigen Leute auf den richtigen Empfängen bringen die richtigen Probleme der Buchmesse hinterrücks dann doch noch zur Sprache

Mit der Erinnerung verhält es sich auf der Frankfurter Buchmesse wie im richtigen Leben: Sie ist eine unsichere Kantonistin, sie braucht sehr zwingende äußere Reize, um ihre Arbeit zu tun. So wundert man sich nicht, dass an diesem Dienstagnachmittag bei der offiziellen Eröffnung der Buchmesse alles reibungslos verläuft. Kein Gedränge, keine Taschenkontrollen, die üblichen Eröffnungsreden, business as usual. Erst als man bei einem Blick aus dem Fenster ein Flugzeug an einem Hochhaus vorbeifliegen sieht, setzt die Erinnerung ein: Da war doch letztes Jahr was! Da gab es doch den 11. 9., der das Messetreiben bestimmte! Da musste doch Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin den Bundeskanzler ersetzen, weil dieser wegen der Terroranschläge verhindert war.

Immerhin ist statt Gerhard Schröder auch dieses Jahr wieder Julian Nida-Rümelin gekommen und verrichtet eine seiner letzten Amtshandlungen: Er hält eine schöne nidarümelige Nida-Rümelin-Rede; eine Rede über das größer werdende Europa, das ja 2002 auch das Buchmessen-Schwerpunktland Litauen unter seinem Dach vereine; eine Rede, die von der „Idee einer europäischen Zivilgesellschaft“ handelt und den „Respekt vor der Differenz“ einfordert.

Alles wohl formuliert, aber nichts gegen den schönen Versprecher, der Frankfurts Oberbürgermeisterin Petra Roth unterläuft: „Lesen bleibt an der Tagesordnung“, jubelt sie zum Abschluss ihrer Rede und statt das Publikum dann „herzlich willkommen“ zu heißen sagt sie: „Herzlichen Glückwunsch!“ Das hat etwas vom berühmten Pfeifen im Wald, denn ist der 11. 9. auch fast vergessen, so steht die Messe dieses Jahr im Zeichen der allumgreifenden Wirtschaftskrise. Diese Krise aber umgehen alle Eröffnungsredner doch lieber. Sie feiern wie der litauische Autor Sigitas Geda die Schönheiten der Poesie im Allgemeinen und die Besonderheiten und Schwierigkeiten der litauischen Literatur im Speziellen. „Mir scheint“, sagt Geda, „wir sollten uns hier auf unserem Besuch eingestehen, dass die litauische Literatur schon seit über dreißig Jahren in Bewegung geraten ist; sie ist mit Knirschen und Knacken auf der Suche nach sich selbst, auf dem weiten Feld von Goethe, Schiller, Novalis, Paul Celan, Ingeborg Bachmann, Ernst Jandl und Hans Magnus Enzensberger …“ Da scheint es wunderbar zu passen, wenn der Börsenvereinsvorstand Dieter Schormann schließlich auch noch den Reichtum der Literatur gerade angesichts der „schönen neuen Glitzerwelt der Cybertechnik“ lobt.

Auch Arnulf Conradi, Chef des Berlin-Verlages, will sich abends bei seinem traditionellen Empfang die Laune nicht verderben lassen. Er spricht von der „Literatur als Überlebenstechnik“ (wir lassen uns nicht unterkriegen!) und begrüßt lang und aus vollem Herzen seinen Erfolgsautor Richard Senett, der freundlich in die Runde lächelt. Hier, im Salon 15 des Frankfurter Hofs, ist ja auch alles schön wie immer: Alle sind gekommen, auch Peter Esterhazy, alle trinken und schwatzen, und alle freuen sich, dass es eben genau so wie immer ist. Ordnung muss sein im Leben, es geht doch nichts über ein gepflegtes Ritual. Dass man Petra Roth schon wieder sieht, ist allerdings verwunderlich. Roth, so heißt es später, würde jetzt viel auf kulturellen Events in Frankfurt auftauchen, sie wolle nämlich Bundespräsidentin werden. Was das eine mit dem anderen zu tun hat, wird zwar nicht weiter erörtert, aber eines lässt sich selbst dazu und ohne Reue und böse Hintergedanken sagen: Herzlichen Glückwunsch!

GERRIT BARTELS