Rot-Grün pumpt sich auf

SPD und Bündnisgrünbe einigen sich auf Koalitionsprogramm. Kinderbetreuung wird verbessert. Steuervorteile werden verringert. Ehegattensplitting bleibt. 2,6 Milliarden Neuverschuldung

BERLIN taz ■ Rot-Grün will die Sozialausgaben im Jahr 2003 wesentlich stärker kürzen, als die Steuererleichterungen für Unternehmen und Wohlhabende. Das ist das Ergebnis der bisherigen Koalitionsverhandlungen, das Grünen-Chef Fritz Kuhn und SPD-Fraktionsvorsitzender Franz Müntefering gestern am späten Nachmittag in Berlin präsentierten. Die wichtigsten Streitpunkte ihrer Vereinbarung für die kommende Legislaturperiode haben die Koalitionäre damit abgehakt.

Im Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit und der Rentenversicherung plant Rot-Grün im kommenden Jahr Einsparungen in Höhe von 7,4 Milliarden Euro - wo und wie genau, wurde gestern nicht präzisiert. Einen Teil der Einsparungen soll das Hartz-Konzept zur Flexibilisierung des Arbeitsmarktes erbringen. Mit dem Abbau von Steuersubventionen wollen die Koalitionäre im nächsten Jahr 4,2 Milliarden Euro zusätzlich beschaffen. Bis 2006 sollen die Einnahmen auf 11,3 Milliarden steigen.

Firmen müssen nach dem Willen von Rot-Grün demnächst eine Mindeststeuer zahlen. Damit wolle die Regierung die Anrechnung von Betriebsverlusten auf Gewinne beschränken, erläuterte Müntefering. Aktionäre sollen in Zukunft ohne Zeitbegrenzung ihre Gewinne versteuern - nicht mehr nur im ersten Jahr wie heute. Außerdem wird die neue Regierung die Eigenheimzulage entscheidend verringern.

Neben diesen Maßnahmen plant Rot-grün eine um 2,6 Milliarden Euro höhere Nettokreditaufnahme für 2003 als bisher beabsichtigt. Damit liegt das Haushaltsdefizit über drei Prozent des Inlandsprodukts und verletzt den Maastricht-Vertrag. Das wollte Bundesfinanzminister Hans Eichel vermeiden. Trotzdem zeigte er sich gestern „sehr zufrieden“ mit dem Sparkurs. Die Koalitionäre gehen nach wie vor davon aus, die Neuverschuldung bis 2006 auf Null reduzieren zu können.

Die Grünen konnten sich an verschiedenen Punkten nicht durchsetzen. Das Ehegattensplitting wird nicht gekürzt und für die Finanzierung der neuen Krippenplätze für Kleinkinder verwendet, wie die Grünen wollten. Stattdessen wird der Bund den Ländern ab 2004 jährlich 1,5 Milliarden Euro aus anderen Quellen zur Verfügung stellen.

Das Atomkraftwerk Obrigheim bleibt zwei weitere Jahre am Netz, obwohl es laut Atomkonsens Anfang 2003 abgeschaltet werden müsste. Für die erneuerbaren Energiequellen wird es ein von den Grünen gefordertes zusätzliches „Marktanreizprogramm“ geben, um den Anteil dieser Energien an der Stromproduktion zu steigern. Auf die Frage, ob der grüne Parteitag das Verhandlungspaket unterstützten werde, sagte Außenminister Joschka Fischer gestern: „Es ist nicht meine Betrachtungsweise, ob grüne Delegierte damit sehr gut leben können, sondern ob unser Land damit eine Zukunft hat“. HANNES KOCH

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