Fit for Germany: „Bauch, Beine, Po“

Oder: Wie ich lernte, den Personal Coach zu verstehen. Die Spuren des Alterns lassen einen Mittdreißiger den Schritt ins Fitness-Studio riskieren. Dort versteht er erst mal nur „schuften“, statt „Spinning“, „Stepping“ und „Powerlifting“. Ein Lesestück

Wenn man Mitte 30 ist, ist man fast zwangsläufig nicht mehr Mitte 20. Mit Mitte 20 etwa hätte man ihm sofort eine aufs Maul gehauen.

Mit Mitte 30 hört man ohne weiteres einem guten Freund zu, der sich stundenlang darüber erregt, dass die Eisdiele keine Diabetikerversion des Banana-Split im Programm hat. Und dass die beiden dubiosen Kahlköpfe am Nebentisch über ein „Anti-Aging-Programm“ sprechen, hätte man früher mit wüsten Antifa-Gesängen quittiert, in denen man das Volk über die unheilvollen Parallelen zwischen der Diskriminierung alter Menschen und den Euthanasieprogrammen der Nazis aufgeklärt hätte. Heute hingegen erkundigt man sich höflich nach der Adresse des Fitness-Studios.

So lernte ich Bernd kennen. Bernd ist ein Mensch, der davon lebt, dass andere Menschen stundenlang in gekrümmter Haltung auf Bürostühlen herum hängen, bis ihnen ein Arzt sagt, dass sie nur noch die Wahl haben zwischen einer längeren Sitzung auf dem OP-Tisch oder dem Besuch beim Fitnesstrainer Bernd. Ich entschied mich angesichts der attraktiven Aussicht auf geruhsame Liegephasen spontan für den OP-Tisch. Doch offenbar hatten der Arzt und Bernd da einen ganz miesen Provisionsdeal laufen, abgesprochen mit der Krankenkassenmafia und so ...

Bernd klärte mich gleich bei unserem ersten Rundgang durchs Fitnesscenter auf: Deutschland sei mental wie physisch ein Land voller grässlicher Problemzonen, die es gezielt wegzutrainieren gilt. Wer heutzutage mithalten wolle, komme beruflich und privat nicht mehr am Personal Coach vorbei. Ich wollte, während ich mühsam versuchte, mit Bernds federndem Gang Schritt zu halten, noch erwidern, dass es doch auch ein menschenwürdiges Leben mit unbeseitigten Fettpölsterchen, nicht behobenen Rhetorikmängeln und ungeplanten Karriereknicken geben kann. Doch leider war ich zu sehr außer Atem, um einen verständlichen Ton heraus zu bringen.

Um meine physical Performance zu optimieren, empfahl mir Bernd Bodyshape, Spinning, Stepping oder Powerlifting für Bauch, Beine und Po. Ich verstand nur Bauch, Beine und Po und bat mit dem Hinweis auf meine ausländische Herkunft um eine Übersetzung. Auf Deutsch hieß das erstaunlicherweise alles „Schuften in der stinkigen Turnhalle, bis einem der Schweiß ausgeht.“

Nach eingehender Musterung meiner Problemzonen zauberte Bernd außerdem noch das Angebot „Fatburning for men“ aus dem Muscle-Shirt – ein Kurs, den er mir mit gutem Gewissen empfehlen könne. Ich war kurz davor, Bernd angesichts dieser Beleidigung fett einen auf den Arsch zu burnen, aber dann fühlte ich mich doch zu untrainiert und ließ es bleiben.

Immerhin: Bernd bemerkte, dass ich meine Gesichtsfettpölsterchen missmutig in Falten gerollt hatte. Er zog sein letztes As aus dem nicht vorhandenen Ärmel: Wenn ich wolle, könnte ich alternativ auch Aerobic-Dance-Kurse machen und mich bei toller Musik unter professioneller Anleitung anmutig bewegen. Ich erwiderte empört, ich sei doch kein Mädchen, woraufhin Bernd und ich wie alte Komplizen gemeinsam eine nicht unbeträchtliche Anzahl an Kalorien weglachten. Im Patriarchat funktioniert halt die transnationale Verständigung unter Männern auch ohne Personal Coaches einfach blendend.

Franco Zotta