Sparen statt anstoßen

Nach einem Jahr Rot-Rot diskutiert der Senat auf seiner Klausur längere Arbeitszeiten für Beamte und verabschiedet sich von versprochenen neuen Lehrerstellen. PDS will den Sparkurs mittragen

von STEFAN ALBERTI

Es hätte ein Tag zum Anstoßen sein können. Gestern vor einem Jahr gaben die Wähler SPD und PDS jene Mehrheit im Abgeordnetenhaus, die im Januar zur rot-roten Koalition führte. Aber statt zum Sektempfang, hockten die Koalitionäre gestern im Senatsgästehaus im Grunewald zur Krisenbewältigung zusammen.

Laut Tagesordnung sollte es bei der eintägigen Klausurtagung im Gästehaus der Landesregierung um einen so genannten Stellenpool für überzählige Verwaltungsmitarbeiter, Privatisierung der Messe, Liegenschaften und die Zukunft der Wohnungsbauförderung gehen. Beschlüsse waren nicht angekündigt. Doch nach dem Scheitern der Solidarpaktverhandlungen von vergangener Woche konnte das Thema nicht außen vor bleiben, an dem die Festigung der Berliner Finanzen hängen soll. Man werde den Sachstand und zu ergreifende Maßnahmen beraten, sagte Wirtschaftssenator Harald Wolf (PDS), bevor sich die acht Senatoren, der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) und die Fraktionschefs um neun Uhr hinter die eisernen Tore des Gästehauses zurückzogen.

Konkrete Beschlüsse wurden auf der Klausur nicht gefasst, Wowereit ließ nur so viel nach der Sitzung durchblicken. „Wir sind durch das Nein der Gewerkschaften auch bei Polizisten und Lehrern dazu gezwungen, nicht die Einstellungen vorzunehmen, die wir uns vorgestellt haben.“ Allerdings zeigte Wowereit weiter Verhandlungsbereitschaft gegenüber den Gewerkschaften. Man sei in der Lage, jederzeit gefasste Beschlüsse wieder zurückzunehmen, so Wowereit.

Nach Planung von Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) sollte der Solidarpakt mit den Gewerkschaften 2003 und 2004 je eine Viertelmilliarde Euro im öffentlichen Dienst einsparen. Nach dessen Scheitern hatte der Senat „einseitige Maßnahmen“ angekündigt, darunter einen generellen Einstellungsstopp im öffentlichen Dienst und Mehrarbeit für Beamte.

Finanzsenator Sarrazin hatte als Reaktion auf das Scheitern der Gespräche mit den Gewerschaften bereits angekündigt, keine Lehrer, Richter und Polizisten mehr einstellen zu wollen. „Dieser Einstellungsstopp ist bereits Praxis, das kann ich allein machen“, sagte Sarrazin. Bildungssenator Klaus Böger, ebenfalls SPD-Mann, sah das anders: „Wir beschließen heute keinen Einstellungsstopp.“ Doch auch SPD-Fraktionschef Michael Müller mochte gestern keinen Bereich von möglichen Kürzungen ausnehmen. SPD und PDS haben in ihrem Koalitionspapier vereinbart, bis zum Ende der Wahlperiode 2006 über 4.000 neue Lehrerstellen zu schaffen. Stattdessen ist nun die Verlängerung der Arbeitszeit für Lehrer im Gespräch.

„Die Katze ist aus dem Sack“, reagierte der bildungspolitische Sprecher der Grünen im Abgeordnetenhaus, Özcan Mutlu. Nach seiner Auffassung nutzt Rot-Rot das Scheitern der Solidarpaktgespräche nur als Vorwand, sich von den zusätzlichen Stellen zu verabschieden. Vizesenatssprecher Günter Kolodziej sah die Schuld nicht beim Senat: „Das wäre alles möglich gewesen, wenn die Gewerkschaften unsere ausgestreckte Hand ergriffen hätten.“

Umstritten war an diesem auch äußerlich tristen Montag ein weiteres Kürzungsvorhaben Sarrazins. Der Finanzsenator will die Wohnungsbauförderung fast halbieren, für die das Land derzeit 1,5 Milliarden Euro bereitstellt. Dabei geht es um die Anschlussförderung für 25.000 Wohnungen aus dem Jahr 1987. Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD) hingegen warnte vor zu hohen Mieten und Insolvenz von Wohnungsbaugesellschaften.

Parallel zu der Klausurtagung verlangte der CDU-Finanzexperte Nicolas Zimmer vom Senat „schnellstmöglich einen realistischen Nachtragshaushalt“. Den im Juni vom Parlament beschlossenen Doppelhaushalt 2002/2003 nannte er ein „Dokument der Selbsttäuschung und des Realitätsverlusts“. Nach den jüngsten Schätzungen der Finanzverwaltung fehlen dem Land Berlin wegen geringerer Steuereinnahmen in diesem und im nächsten Jahr mindestens 600 Millionen Euro.