„Keine Zeit für Kunstgenuss“

Kultursenator Thomas Flierl (SPD) setzt weniger auf Präsenz bei Theaterpremieren als auf politische Wirksamkeit. Ein Gespräch über Kunst, Kultur und Kliniken sowie das Verhältnis zum Finanzsenator

Interview ROLF LAUTENSCHLÄGER
und ADRIENNE WOLTERSDORF

taz: Herr Flierl, es gibt Kulturschaffende, die sagen, den Kultursenator, den gibt’s gar nicht? Bei vielen Premieren waren Sie nicht anzutreffen, so neulich im Gorki-Theater beim „Gastmahl“.

Thomas Flierl: Stimmt. Aber ich muss im Moment enorme Strukturfragen klären. Da bleibt wenig Zeit für Repräsentation und Kunstgenuss. Es gibt in einem Stadtstaat wie Berlin die eigentümliche Verzerrung, dass alle gleichzeitig den Anspruch auf den Kultursenator erheben.

Auch ist der Eindruck entstanden, dass Finanzsenator Sarrazin immer schon zuerst da war und ein Sparkonzept ausgepackt hat. Ist er der Igel, während Sie der Hase sind? Oder ist das schlicht die Logik der Berliner Sparpolitik?

Es gibt bei allen Senatoren eine gewisse Ernüchterung, was ein solches einzelnes Vorpreschen angeht. Aber mit persönlicher Rivalität hat das nichts zu tun.

Bei solchen Kommunikationsmustern wäre es doch besser, wenn sich der Kultursenator auch dort aufhielte, wo er gewünscht wird?

Ich glaube, die Kulturschaffenden dieser Stadt haben nicht die Erwartung an mich, voll präsent, sondern politisch wirksam zu sein. Es geht doch um klare Konzepte und um klares politisches Handeln.

Adrienne Goehler, Ihre Vorgängerin im Amt, sagte kürzlich in einem taz-Interview, sie sehe bei der gegenwärtigen Kulturpolitik eine gewisse „Profillosigkeit“. Wie gehen Sie damit um?

Die erste Phase war durch den Doppelhaushalt gekennzeichnet. Seit dem Sommer gibt es intensive Gespräche mit den Institutionen und jetzt folgen Schritt für Schritt Strukturentscheidungen für die großen Bereiche wie Opern und Hochschulmedizin. Da zeigen sich dann auch erste vorzeigbare Ergebnisse meiner Tätigkeit.

Welche sind das?

Die Entscheidung über den Standort der Berlinischen Galerie, die Sicherung der Zukunft der Kulturbrauerei und der Kunsthochschulen. Und natürlich die Hochschulmedizin.

Wann kommt das Opernkonzept?

Bis Jahresende wird es eine Vorlage im Abgeordnetenhaus zur Zukunft der Opernstruktur geben. Davor finden Gespräche mit dem Bund statt, zurzeit laufen intensive Gespräche mit den drei Häusern selbst.

Hat das Modell eines Generalmanagers für alle drei Bühnen die Intendanten, mit denen Sie sich am Donnerstag trafen, nicht vor den Kopf gestoßen?

Es wurde Vertraulichkeit über die Gespräche verabredet.

Können Sie für die Deutsche Oper eine Bestandsgarantie abgeben?

Mein Ziel ist, dass alle drei Opernstandorte bestehen bleiben.

Wir haben Sie gefragt, ob Sie für den Erhalt der Deutschen Oper sind?

Und ich habe gesagt: alle drei Standorte.

Wir hören, Sie konnten im letzten halben Jahr keine Politik machen, weil der Haushalt in der Schwebe war. Jetzt hat Berlin über 600 Millionen Euro Steuerausfälle. Das heißt, der Haushalt ist fast schon wieder Makulatur. Warten Sie dann wieder, bis alles geklärt ist?

Der Haushalt ist das Ergebnis von vertretbarer Politik. Das heißt, die Kürzungen, die im Kulturbereich stattfanden, waren kostenneutral und die Substanz wurde nicht angegriffen. Sie haben Recht, dass uns ein Nachtragshaushalt droht wegen der Steuerausfälle. Das könnte schwierig werden.

Auch für Ihren Bereich?

Sicher wird es dann mehr Druck geben. Dennoch haben wir Strukturmaßnahmen vorbereitet. Es ist auch nicht so, dass wegen eines Nachtragshaushalts hektisches Reagieren notwendig wäre. Es gibt eine Strategie bis 2006 und die heißt: Weiter auf dem Konsolidierungspfad.

Aber was geschieht, wenn der Finanzsenator eine Oper streicht?

So läuft das nicht. Die Vorschläge zur Veränderung der Opernlandschaft dienen vor allem dazu, den Bund einzuladen, sich an dieser Diskussion zu beteiligen. Kulturstaatsministerin Weiss fordert eine Lösung für alle drei Opernhäuser. Darauf bereiten wir uns vor. Die Strukturreformen orientieren sich nicht am Finanzsenator, sondern werden von mir verantwortet.

Wie kann der Bund bei der Hauptstadtkultur in die Pflicht genommen werden?

Der Bund muss seine eigenen kulturpolitischen Interessen wahrnehmen. Ein Rückzug aus der Finanzierung darf nicht stattfinden. Eine Haushaltsnotlage etwa könnte den Bund sehr viel teurer kommen als das Angebot, in bestimmten Bereichen stärker als bisher hier tätig zu werden.

Sorgen Sie dafür, dass die Debatte über die kulturelle Bedeutung der Hauptstadt jetzt endlich ins Rollen kommt?

Selbstverständlich werde ich das tun.

Aber das von Ihnen initiierte „Forum Kultur“, ein Plenum von Politik und Kulturschaffenden, macht keine Fortschritte.

Das Forum Kultur ist noch nicht etabliert. Es ist außerordentlich schwierig, die Vorbereitungsarbeiten zu erledigen. Es gibt intensive Gespräche mit möglichen Mitgliedern einer Lenkungsgruppe. Ich gehe davon aus, dass es zustande kommt.

Der Rat der Künste hat kritisiert, dass die „neuen Umrisse einer Berliner Kulturpolitik“ im Forum Kultur nicht sichtbar würden, und ist schon ausgestiegen.

Der Rat Künste und andere bleiben eingeladen, ihre Angebote in die Debatte zu werfen. Es besteht ein Wettbewerb, Formen zu entwickeln. Wenn der Rat der Künste diese entwickelt, bin ich der Letzte, der sich dem entziehen würde. Wir bereiten jedenfalls in Abstimmung mit der Akademie der Künste diese Unternehmung vor und es soll noch in diesem Jahr eine Veranstaltung geben.

Kommen wir zu den Unikliniken. Wie stehen Sie zu der Kritik, dass das Expertengutachten zur Zukunft der Hochschulmedizin finanziell wenig durchdacht sei?

Die Art der Einwände hat eher den Charakter von Rückzugsgefechten. Im Einzelnen muss die Kritik nun durch den Wissenschaftsrat geprüft werden. Die Grundempfehlungen wie etwa den Staatszuschuss für Forschung und Lehre, die Sicherung der Existenz von Universitätsmedizin, die klare Trennung von Lehre- und Forschungszuschuss und Krankenversorgung, die campusartigen Bereiche in Steglitz und Charité auszubauen, überzeugen mich.

Wie wollen Sie die Leitung des neu entstehenden Uniklinikums besetzen?

Durch ein normales Ausschreibungsverfahren.

Wie werden Sie mit den zu erwartenden Widerständen umgehen?

Es ist nur konsequent, in der Kliniklandschaft Schwerpunkte zu setzen und Forschungsschwerpunkte zu fördern. Wir müssen dabei die Interessen der Beschäftigten, die Sicherung der getätigten Investitionen und die vorhandenen Möglichkeiten abwägen.