Sind so kleine Biere

Clash der Braukulturen: Trinkernachwuchsförderung in Bayern und Belgien

Nichts ist gesünder, als den Kindern auf dem Schulhof einheimisches Bier anzubieten

BRÜSSEL taz ■ Seit einiger Zeit drängen massgebliche Kreise im Raum Limburg darauf, das tägliche Biertrinken bereits in der Grundschule einüben zu lassen. Limburg, bisher eher käsemäßig bekannt, liegt in Nordbelgien, und von da ist es nicht weit nach Holland, wo es um den Trinkernachwuchs bekanntlich besser bestellt ist. Politiker und Schulleiter bestreiten allerdings, dass es ihnen um mehr Chancengleichheit auf den grenznahen Dorffesten ginge. Einzig und allein die Volksgesundheit liege ihnen am Herzen, sagen sie. Denn vor kurzem haben einige Krebsspezialisten festgestellt, dass in belgischen Schulenpausen vorwiegend amerikanische Softdrinks und ähnliche Brausen in die kindlichen Organismen geschüttet werden, was für die kleinen Körper wie auch für die Lebenserwartung im Allgemeinen überaus ungünstig sei. Einige Schulleiter wie auch der belgische Brauereiverband haben daraus messerscharf geschlossen, dass es gesünder sei, den Kleinen auf dem Schulhof einheimisches Bier anzubieten.

Die Gefahr, dass belgische Schüler Bier verschmähen und die Zuckerwasser vorziehen, darf als eher gering eingeschätzt werden. Zum einen soll schon der urbelgische Eburonenfürst Ambiorix, der später für Asterix Pate stand, für eine frisches Cerveza jeden Honigwein links liegen gelassen haben. Zum anderen bin ich vorige Woche im Zug nach Aachen unterwegs gewesen, und da hat mir eine begeisterte amerikanische Kleinfamilie, die gerade aus Brüssel kam, ein Schokoladenbier angeboten. Dass die Belgier Kirschen, Pfirsiche oder auch Birnenkompott mälzen, war mir bekannt, dass sie auch Schokobohnen zu Alkohol vergären, hatte ich gehört, aber nie geglaubt. Seitdem kann ich es beeiden. Es schmeckt übrigens genauso stark nach Bier wie nach Schokolade und verspricht heitere Schulstunden nach der Pause, denn man muss sich erstaunlicherweise nicht sofort übergeben.

Fairerweise sollte dazu gesagt werden, dass selbst an Limburger Schulen vorerst nur der Ausschank von Leichtbieren in Erwägung gezogen wird. An die äußerst beliebten belgischen Mönchsbiere der Trappisten von Westmalle, Sankt Sixtus oder Orval mit ihren rund 10 Prozent Alkohol ist während der Testphase noch nicht gedacht.

Obwohl die Mönche selbstverständlich gewisse Vorrechte bei der Belieferung der Schulen hätten. Schließlich waren sie es, die im Morast von Flandern damit angefangen haben, aus Gesundheitsgründen Bier zu brauen. Das ist zwar schon lange her, ungefähr siebenmal so lange wie das Land Belgien alt ist. Aber genau deshalb sitzt die Erfahrung, dass Bier Leben rettet, auch so tief im belgischen Bewusstsein. Bierforscher datieren den Vorfall so um das Jahr 1050. Das Wasser soll damals sehr schmutzig gewesen sein, was regelmäßig zu Ruhr und Cholera führte. Da gab der weise Abt Arnoldus vom Heiligen Peter in Oudenburg seinen Brüdern den Auftrag, soviel Bier zu brauen, dass die Leute kein Wasser mehr trinken mussten. Das half, Bier wird schließlich abgekocht. Die Begeisterung über das neue Heilmittel soll damals sehr groß gewesen sein. Mit Wehmut beklagte kürzlich der belgische Brauerbund, dass im Land von Arnoldus statt der damals üblichen 500 Liter Bier pro Kopf und Jahr heute nur noch schlappe 98 Liter getrunken werden, was die Belgier in der internationalen Bierliga weit hinter die Deutschen zurückwirft.

Von den Bayern ganz zu schweigen, die deshalb jedes Jahr mitten in Brüssel ein Oktoberfest aufbauen, um die Belgier das Trinken zu lehren. Das pädagogische Konzept ist dasselbe wie in München: laute Blechmusik, dicke Luft und schweres Bier in Literkrügen. Und es bringt dasselbe Ergebnis wie in München, das heißt, dass sich im wesentlichen expatriierte Deutsche, Holländer, Japaner und Amerikaner betrinken. Belgier betrachten eine Maß Bier als Familienpackung, mit der sie ungern allein gesehen würden.

Das jährliche Trinkfest wird übrigens von der bayerischen Staatsregierung veranstaltet, als Beitrag zur Völkerverständigung. Mit zweifelhaftem Erfolg. Belgier verweigern sich nach wie vor dem Münchner Wirkungstrinken, während man in Bayern schon aus Treue zum Reinheitsgebot die meisten der 500 Biersorten ablehnt, auf die Belgier so stolz sind. Für Bayern reicht eine Sorte, solange genug davon da ist. Als wir vorige Weihnachten der oberbayerischen Verwandtschaft eine kleine Auswahl belgischer Braukunst unter den Christbaum stellten, schlug uns blankes Unverständnis entgegen: „Ja is unser bayerisches Bier ned guad?“ ALOIS BERGER