Anzeige gegen DaimlerChrysler in Argentinien

Angehörige von verschwundenen Betriebsräten gehen vor Gericht. In Stuttgart wird heute eine Untersuchungskommission eingesetzt

BUENOS AIRES taz ■ Es war am Nachmittag des 12. Augusts 1977, als das Verschwinden von Diego Núñez organisiert wurde. Der damalige Produktionschef des Mercedes-Benz-Werkes in Buenos Aires gab in seinem Büro zwei Polizisten die Privatadresse des aufmüpfigen Betriebsrates. So will es ein Zeuge, der dem Werksleiter am Schreibtisch gegenübersaß, mitbekommen haben. In Argentinien herrschte damals seit über einem Jahr eine blutige Militärdiktatur.

Stunden später klingelten Uniformierte bei Núñez an der Wohnungstüre und verhafteten ihn. In dem berüchtigten Gefangenenlager Campo de Mayo wurde er nach Aussagen von Mitgefangenen brutal gefoltert, ehe er einige Tage danach mit anderen gefangenen Mercedes-Betriebsräten auf einen Militärlastwagen steigen musste. Seither hat sich jede Spur von ihm verloren. Seine Leiche wurde nie gefunden. Insgesamt verschwanden zwischen 1976 und 1977 14 Mitglieder des Mercedes-Benz-Betriebsrates und kritische Gewerkschafter.

Heute werden die Töchter von Núñez, gemeinsam mit weiteren Hinterbliebenen, in Buenos Aires über den Staranwalt Ricardo Monner Sans eine Strafanzeige erstatten. Monner Sans wirft dem Konzern, der Automobilarbeitergewerkschaft Smata und den Militärs vor, gemeinsam eine „kriminelle Vereinigung“ gebildet zu haben.

Laut argentinischem Strafgesetzbuch kann von einer „kriminellen Vereinigung“ ausgegangen werden, sobald sich mehr als drei Personen zusammentun, um Delikte zu begehen. „Und wir finden, dass das in diesem Fall so geschehen ist“, sagt Monner Sans. Manager, Gewerkschaftsfunktionäre und Militärs sind in seinen Augen eine Allianz eingegangen „um zu entführen und zu morden“.

Rechtsanwalt Monner Sans stützt diesen Vorwurf auf die Aussage eines Arbeiters, der bezeugt, dass der Mercedes-Produktionschef die Privatadresse von Diego Núñez weitergeleitet habe. Daneben wird Monner Sans den Ermittlungsbehörden eine Liste übergeben, die vom Justizar des Unternehmens, Pablo Cueva, im Jahr 1975 an die Politische Polizei weitergeleitet worden ist. Darin sind Namen und Privatadressen der Betriebsratsmitglieder aufgeführt und werden in Zusammenhang mit terroristischen Organisationen gebracht.

Diese Liste bringt auch die Automobilarbeitergewerkschaft Smata ins Visier des Opferanwalts – sie wurde von dem damaligen Smatas-Vertreter in dem Unternehmen erstellt. Erst so habe das Unternehmen die kritischen Gewerkschaftler überhaupt bei der politischen Polizei denunzieren können. In dem Werk tobte damals ein Konflikt zwischen dem kritischen Betriebsrat und Smata-Vertretern.

Ebenfalls in dem Fundus von Anwalt Monner Sans ist ein Brief des damaligen Aufsichtsratsmitglieds der Mercedes Benz AG, Hanns Martin Schleyer. Im Anhang seines Schreibens versichert Schleyer am 19. Mai 1976 dem Ersten Vorsitzenden der IG-Metall, Eugen Loderer, dass die argentinische Filiale des Unternehmens „das Bestreben vom Arbeitsministerium und Smata, subversive Elemente in den Fabriken auszuschalten, unterstützen wollte“.

In Deutschland ermittelt die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth seit drei Jahren wegen Beihilfe zum Mord gegen DaimlerChrysler Argentinien und den ehemaligen Produktionschef. Heute wird außerdem in Stuttgart eine Untersuchungskommission des Unternehmens eingesetzt, die die Vorwürfe gegen die Mercedes-Manager in Argentinien aufklären soll. Konzernsprecher Hartmut Schick sagte am Samstag: „Wir können uns nicht vorstellen, dass die Vorwürfe zutreffen.“

INGO MALCHER