Der Spirit wohnt in Lichtenberg

Sie steht finanziell auf sicheren Beinen. Sie ist staatlich anerkannt. Und sie hat Anfang Oktober den Lehrbetrieb aufgenommen. Die neue Privathochschule „OTA University of Applied Sciences“ in Lichtenberg kommt ganz ohne staatliche Zuschüsse aus

von SUSANNE LANG

Der Spirit hat viele Gesichter. Um eines locken sich rote Haare, die Franziska Teichert ab und an hinter ihre Ohren streicht. Die 20-Jährige tippt auf der Tastatur ihres Notebooks, hin und wieder bespricht sie sich kurz mit drei Kommilitonen, die ebenfalls vor Notebooks sitzen. Die Wände des Arbeitsraumes Nummer 1 blitzen weiß, der Teppich noppt sich gleichmäßig, als wäre er direkt von der Fabrikrolle abgewickelt und verlegt. Die WLAN-Luft im Zimmer, die jedem Notebook an jeder Stelle Netzkontakt ermöglicht, riecht nach Plastik. Alles neu, der Spirit ist gerade erst eingezogen in den Plattenbau an der Josef-Orlopp-Straße in Lichtenberg.

Seit Anfang Oktober studieren Franziska Teichert und 76 Kommilitonen an der neu gegründeten Berliner Privat-Hochschule „OTA University of Applied Sciences“. Dass die Studentin aus Wedding einen ziemlich weiten Anfahrtsweg hat und der Blick aus dem Fenster auf grau-verschlissene Ostfassaden fällt, stört sie nicht. Schließlich bietet ihre Hochschule zwei innovative Studiengänge mit international anerkanntem Bachelor-Abschluss: „Wirtschaft“ und „Information und Kommunikation“. Franziska Teichert ist für den zweiten eingeschrieben. „Dieses Studium ist eine ideale Voraussetzung dafür, was ich später gerne machen möchte“, sagt sie. Seit zehn Minuten hat ihre Arbeitsgruppe Mittagspause und sitzt vor Sandwiches und Fertiggerichten im Meetingraum. Veranstaltungsmanagerin will die 20-Jährige einmal werden. „Ich glaube, es gibt wieder ein gesellschaftliches Bedürfnis nach guten Partys, bei denen es nicht auf Konsum ankommt“, sagt sie. Erste Erfahrungen in Organisation und Management macht Franziska Teichert seit zwei Wochen an der Hochschule. Sie bereitet gerade die Wahlen zur Studentenvertretung vor. Ein Gesicht des Spirits.

Ein anderes wuselt und rennt und schwebt an diesem Vormittag über die Flure des OTA-Campus, gut 800 Quadratmeter auf nur einer Etage. Zwischen seinem Büro und den Arbeitsräumen sagt es hier ein kurzes „Hallo, wie geht es Ihnen heute“, dort ein „Oh, neue Blumen, wie schön, danke sehr“ – vielleicht hat Jürgen Kunze, Rektor der OTA, all das im Kopf, wenn er so flitzt und dabei oft vom „Spirit“ spricht, der gute Hochschulen auszeichne. Der 57-Jährige war acht Jahre lang Leiter der Fachhochschule für Wirtschaft in Schöneberg und hatte sich dort bereits für Internationalisierung und die Reform des betriebswirtschaftlichen Studiums stark gemacht.

Nicht nur Spirit, auch Pole-Position gehört zum festen Wortschatz des Volkswirts. „Wir haben das Qualifying gut bewältigt und sehen uns jetzt in aller Bescheidenheit in einer Pole-Position“, so klingt seine Situationsbeschreibung der OTA. Im Vergleich zur schwierigen Geburt des Berliner Prestigeprojekts, der „European School of Management and Technology“, (ESMT) hat die OTA wirklich eine Pole-Position: Ihre Finanzierung steht – der türkischstämmige und seit langem in Berlin tätige Wirtschaftsingenieur Erman Tanyildiz gründete 1993 eine Stiftung für Berufsbildung, die nun Träger der Hochschule ist.

„Die OTA ist die einzige in Berlin, die bisher kein Geld vom Senat beansprucht oder bekommen hat“, sagt Kunze und lächelt. Studiengebühren wird es dennoch geben. Der Pionierjahrgang ist befreit, ab 2003 soll das OTA-Studium 525 Euro pro Monat kosten. An einem Darlehensmodell wird noch gearbeitet. Ähnlich dem Bafög sollen Kredite über die Stiftung vergeben und später in Raten zurückgezahlt werden.

Einen anderen Grund für die Pole-Position hat Kunze mit blauen Kästchen und roten Pfeilen auf einem Blatt visualisiert: das Konzept und die inhaltliche Ausrichtung des Bachelor-Studiums. Was die Studenten und wie sie drei Jahre lernen werden, erklärt der Rektor in drei Minuten, während seine Finger über das Blatt flitzen. Im ersten Jahr Grundlagen und fachübergreifendes Wissen, im zweiten Vertiefung und Anwendung mit Praxisbezug, im dritten persönliche Profilierung und Projektfähigkeit – und fertig ist der OTA-Absolvent.

Besonders am Herzen liegt Kunze dabei, nicht nur in didaktischer Sicht Vorlesungen und Projektarbeit zu kombinieren, sondern inhaltlich den disziplinären und „eurozentristischen Tunnelblick“ zu bekämpfen. „Europa war nicht immer wirtschaftlich stärker als zum Beispiel Asien“, sagt er. „Im Jahr 1000 war es ein ziemliches Nullum.“ Dass die OTA auch in der Mischung der Studenten, die über ein Auswahlverfahren aufgenommen werden, auf Internationalität großen Wert legt, überrascht nicht. „Wir achten aber nicht auf den Pass, der ist oft ziemlich nichtssagend“, so Kunze. Die Muttersprache oder besser die Anzahl und Vielzahl an Muttersprachen ist ein wichtiges Kriterium für die Auswahl der Studierenden. 14 verschiedene spricht der erste Jahrgang.

Bei Franziska Teichert und ihren Kollegen wird gerade auf Deutsch diskutiert. Die Mittagspause ist vorbei, das Notebook wieder ausgepackt. Die Studierenden entwerfen ein gesellschaftliches Zukunftsszenario. „Es geht um Utopien“, erklärt Franziska Teichert. „Wie die Strukturen des Zusammenlebens aussehen könnten und wie die Menschen miteinander umgehen werden.“ Lebenswelten 2020 heißt das Motto.

Dass die 20-Jährige in gewisser Weise selbst Teil einer kleinen Hochschulutopie ist, merkt die Studentin, die zuvor vier Semester lang an staatlichen Hochschulen in Dresden und Osnabrück eingeschrieben war, jeden Tag. „Hier haben alle Fächer miteinander zu tun“, sagt sie. „Und der Kontakt zu den Dozenten funktioniert viel besser.“ Auch wenn Michael Hartmann, einer der drei Professoren, im Seminarraum nebenan gerade Probleme mit dem Kontaktkabel für den Beamer hat. Logistisches Anfangschaos. Der Physiker bereitet seine Informatikvorlesung vor und strahlt – trotz fehlender Strippe. „Mich reizt die Entwicklung eines modernen und unbelasteten Lehrkonzepts“, erklärt der 41-Jährige. Vor allem, dass man es mit den Studenten gemeinsam entwickeln könne. „Bereits in der zweiten Woche hat ein Student vorgeschlagen, eine Internet-Studienplattform aufzubauen“, sagt Hartmann und strahlt noch ein bisschen mehr. Noch ein Gesicht des Spirits.