Subversives Ventil

Kritiker monieren Gewaltverherrlichung: Sebastian Nüblings Inszenierung von Nanni Balestrinis „I Furiosi – Die Wütenden“ auf Kampnagel nimmt die mit klaren gesellschaftlichen Urteilen belegte Fußball-Subkultur ins Visier

Fußball ist lange schon kein unschuldiges Freizeitvergnügen mehr. Vielerorts sind die Stadien zu unerfreulichen Orten verkommen, in denen sich angestauter Frust und Aggressionen in Orgien der Gewalt entladen.

Für den Theaterregisseur Sebastian Nübling ist der Ball zwar immer noch rund. Gleichzeitig ist er heute Symbol für einen Kampf, der eher um seiner selbst willen, als für irgendwelche Ideale geführt wird. „Fußball ist ein subversives Ventil gegen die staatliche Gewalt. Er ist wichtiger geworden, seit es keine Massenbewegung mehr für eine politische Utopie gibt“, sagt Nübling.

Der Regisseur hat nach erfolgreichen Produktionen mit dem von ihm gegründeten Theater Mahagonny – häufiger Gast auf Kampnagel – inzwischen eine künstlerische Heimat am Theater Basel gefunden. Zwischendurch arbeitet er an Hannoveraner und Stuttgarter Bühnen. Gemeinsam mit seiner Ausstatterin Muriel Gerstner und dem Musiker Lars Wittershagen bildet Nübling ein festes Team.

Auf der Suche nach neuen Bühnenstoffen wurde Nübling unlängst bei dem Italiener Nanni Balestrini fündig, der in seinem Fan-Roman I Furiosi - Die Wütenden die Befindlichkeiten in der Fankurve einmal unter die gesellschaftliche Lupe nahm. Der Untertitel gibt die Richtung vor: „Eine Untersuchung über den möglichen Zusammenhang von Fußball und Gewalt“. Das von Nübling und seinem Koautor Daniel Wahl erarbeitete Bühnenwerk brachte ihm die Ernennung zum besten Nachwuchsregisseur in der Kritikerumfrage der Zeitschrift Theater heute und eine Einladung zum derzeit in Hamburg laufenden Festival Politik im Freien Theater ein. Die Produktion des Theaterhauses Stuttgart und des Württembergischen Staatstheaters gastiert von heute an auf Kampnagel.

In I Furiosi reisen acht Schlachtenbummler in einem ausgebrannten Bus durch Europa und reflektieren in elf Gesängen ihre Stadienerlebnisse. Die Rahmenhandlung ist schnell erzählt. Den Fans vom AC Mailand, den so genannten „Ultras“, gelingt der Raub eines Transparentes aus der Mitte des feindlichen Lagers. Fortan genießen sie ihren Triumph und reflektieren immer wieder aufs Neue das Geschehene.

Die Wütenden sind Entwurzelte, die ihre Enttäuschung und Hoffnungslosigkeit in einer Geborgenheit suggerierenden Gruppe zu vergessen suchen. In einer Umgebung, die von Hass und Zerstörung geprägt ist, kommt ihr Bericht eher einer rohen Veteranenbeichte nach einem Bürgerkrieg gleich als einer leichtfüßigen Freizeitreportage. Nicht nur in ihrem formalen Aufbau erinnert die Inszenierung dabei an Homers Ilias oder auch an Dantes Göttliche Komödie. Kritiker attestierten Nübling bloße Gewaltverherrlichung. Der Regisseur dagegen will mit der Inszenierung ein öffentlich zementiertes Bild angreifen. Er wolle „den Blick auf eine moralisch klar belegte Subkultur wagen“, deren Ruf sich darauf beschränkt, „tätowiert, saufend und schlagend“ unterwegs zu sein. Balestrini verleiht ihnen mit seinem aus dokumentarischen O-Tönen montierten Text Stimme und Eloquenz. Nübling wird ihnen ein eindringliches Gesicht geben. ANNETTE STIEKELE

Premiere: Donnerstag, 31.Oktober, 20 Uhr, Kampnagel, k1. Weitere Vorstellungen: 1. November, 11 Uhr sowie 2. November, 20 Uhr