Moskau vertuscht Wahrheit

Zensur statt Information: Razzia bei russischer Zeitung, die über Details des Moskauer Geiseldramas berichten wollte. 158 der Musicalbesucher werden immer noch vermisst

MOSKAU dpa/taz ■ Nur einen Tag nach der Verabschiedung eines verschärften Pressegesetzes durch das russische Unterhaus, die Duma, hat der Inlandsgeheimdienst FSB zugeschlagen: Opfer der Razzia wurde am vergangenen Samstag die Zeitung Versia. Mitarbeiter der Schnüffelbehörde beschlagnahmten einen Computer und den Redaktionsserver des Boulevardblatts.

Der Zeitpunkt der Aktion, die die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) kritisierte, war bewusst gewählt. In seiner nächsten Ausgabe wollte das Blatt einen Beitrag über das Moskauer Geiseldrama veröffentlichen. Dessen Verfasser, der die Erstürmung des Musicaltheaters beobachtet hatte, will dutzende Geiseln gezählt haben, die bereits tot aus dem Theater geschafft wurden.

Dies würde die Frage nach den Vermissten erneut aufwerfen, deren Schicksal auch über eine Woche nach den Ereignissen ungeklärt ist. So führt die Website des Zentrums für Bürgerhilfe 158 Menschen als vermisst auf.

Dass Familien weiter vergeblich ihre Angehörigen suchen, berichten auch seriöse Tageszeitungen. Die Iswestija schildert den Fall des 18-jährigen Dmitri Rodionow, der nach dem Gasangriff von seiner Freundin getrennt worden war. Die Freundin wachte im Krankenhaus auf und kann sich nicht erklären, was mit Dmitri geschehen ist.

Unterdessen ging der Schlagabtausch zwischen Dänemark und Russland über den tschetschenischen Politiker Achmed Sakajew in die nächste Runde. Stark verärgert reagierte der Kreml auf die Erklärung der dänischen Justizministerin Lene Espersen, wonach das von Moskau vorgelegte Belastungsmaterial über angebliche terroristische Aktivitäten Sakajews „unseriös und mangelhaft“ sei. Dänemark stehe mit seinen „pseudoliberalen Ermittlungen“ auf der Seite der Terroristen, sagte Dmitri Rogosin, Präsidentenberater, nach Angaben des Fernsehsenders NTW.

Die Streitkräfte kündigten derweil ein massives Vorgehen in Tschetschenien an. „Heute beginnen die Truppen mit einer brutalen, aber zielgerichteten Spezialoperation in allen Teilen der Republik“, sagte Verteidigungsminister Sergej Iwanow. Der geplante Teilabzug der Truppen werde gestoppt.

Ein russischer Militärhubschrauber ist in Tschetschenien von Rebellen abgeschossen worden. Dabei kamen, meldete die russische Nachrichtenagentur Interfax am Sonntag, neun Soldaten ums Leben. KHD, BO

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