berliner szenen Nichts haben wollen

Einkaufsradio kills you

„Shatzy ging gern abends einkaufen, weil sie meinte, dass die Sachen dann müde seien und sich ohne großen Widerstand einkaufen ließen“, schrieb Alessandro Baricco. Aber das stimmt nicht. Die Sachen mögen zwar weniger widerspenstig sein, aber seit das Einkaufsradio per Satellit bundesweit mehrere tausend Supermärkte beschallt, kennen sie eine andere Taktik, sich zu entziehen.

Gegen Abend, in der Zeit zwischen Erwerbsleben und Nachhausekommen, sind die Körpergrenzen weich, weil die „déformation professionelle“ sich löst, aber der Mensch noch nicht in seine selbstbestimmte, reproduktive Phase eingetreten ist. In diesem Moment, während des Umbaus der Protection Shields in einen anderen Modus, haben die Wellen, auf denen in den Werbepausen eine pathetische Popmusik surft, ungehinderten Zugang und treffen genau dorthin, wo einmal das Herz war. Einen gewaltigen Einkaufswagen schiebe ich vor mir her, während Engtanzschnulzen aus der Hölle an mir herumzerren und versuchen, in meinem Rückenmark Wünsche zu implantieren. Eiserner Wille wird milcheisern und tropft mir am Stiel entlang über die Handgelenke unter die Bündchen meines Pullis.

Ratlos stehe ich vor der Trendregion des Kühlregals und frage mich, wer ich wäre, wenn ich wüsste, was ich davon haben will. Mir ist, als hätte man mir die Knochen herausgenommen. Nichts will ich mehr, nicht einmal nach Hause. „Das Nichts-haben-Wollen ist jetzt ein Vom-Nichts-gehabt-werden-Wollen“, würde Herr Heinrich sagen, aber der ist gerade nicht da. Stattdessen kommt eines der Lieder, die ich nie wieder hören wollte, und ich lasse den Wagen stehen, in dem nur ein Glas Kapern herumkullert. Es regnet oder es kommen die Tränen. MONIKA RINCK