An der Technikschranke

Bei der schulischen Vorbereitung auf Computerberufe reproduzieren auch LehrerInnen allzu oft Geschlechterstereotype. In der Schule wie später im Beruf braucht es vor allem erfolgreiche Rollenvorbilder

von SYLVIA MEISE

Girl’s Day, Mädchenuni, Mentorinnenangebote – eine wirklich bunte Köderpalette liegt aus. Trotzdem beißen die Mädchen nicht recht an, wenn es um technische Berufe geht. Ein Grund dafür ist sicher der Mangel an Vorbildern. Wer hat schon Informatikerinnen oder Systemelektronikerinnen in der Familie? Dabei fußt die Zuschreibung Technik = Männerberuf keineswegs auf biologisch bedingten (Un-)Fähigkeiten, sondern auf der gesellschaftlichen Definition dessen, was „typisch Mann“ oder eben „typisch Frau“ ist.

Tatsächlich saust die Technikschranke erst im Pubertätsalter zwischen die Geschlechter. Bis dahin nämlich, so die Erkenntnis verschiedener Umfragen aus den Neunzigerjahren, ist das technische Interesse von Kindern völlig unabhängig vom Geschlecht.

Wann und wieso verlieren die Mädchen im Lernalltag die Lust am Experimentieren mit Technik? Was sich dann mit der mangelnden Neugier an Physik, Chemie oder Computern fortsetzt. Kapieren die Mädels nichts? Drängeln die Jungs sich vor? Nichts davon. Zunächst, so die zentrale Erkenntnis der Tübinger Studie „Jungen, Mädchen und Computer“, muss man ihre Verschiedenheiten akzeptieren. Männer und Frauen, Jungen und Mädchen sind nicht gleich, lernen nicht gleich. (Und wenn Lernstoff nichts mit ihrem Leben zu tun hat, steigen weder Jungen noch Mädchen darauf ein.)

Wie vielschichtig die Genderproblematik ist, wird einem erst klar, wenn man das Geflecht der geschlechtspezifischen Erwartungshaltungen sichtet und dabei feststellen muss, dass sogar Lernprogramme und LehrerInnen selbst an der Reproduktion von Klischees beteiligt sind. So berichten etwa die Autoren der Tübinger Studie Hans-Ulrich Gruber und Inge Lutz von einem Versuch mit LehrerInnen, die je ein Softwarepaket für Jungen und für Mädchen entwickeln sollten. Heraus kamen Lernprogramme für Mädchen – und Spielprogramme für Jungs. Ohne Geschlechtervorgabe wurden ausschließlich Spielprogramme entwickelt.

Derartige Rollenstereotype waren vor vier Jahren Anlass für das baden-württembergische Kultusministerium, geschlechterspezifische Schulprojekte anzustoßen. Das Ziel: Defizite von Mädchen und Jungen aufspüren und abbauen. Außerdem sollte die inhaltliche, nicht spielerische Beschäftigung mit dem PC gefördert werden. Die wissenschaftliche Begleitung durch die Tübinger Forscher sollte zeigen, ob sich Mädchen durch derartige Maßnahmen für Neue Medien erwärmen lassen.

„Unbedingt“, lautet das Fazit der Wissenschaftler, nachdem sie sechzehn Modelle ausgewertet hatten. Zehn davon waren reine Mädchengruppen. Dazu Erwin Pretz, der am Evangelisch-theologischen Gymnasium in Blaubeuren unterrichtet und mit seiner Gruppe am Modellversuch teilnahm: „Jungen belehren, oft ohne sich dessen bewusst zu sein, die Mädchen in einschüchternder Weise.“ Er selbst lotete mit einer gemischten Gruppe über ein HTML-Video-Projekt den „weiblichen und männlichen Zugang zum PC“ aus. Dabei versuchte er den Jungen bewusst zu machen, dass derartige Belehrungen die Botschaft tragen: „Ihr checkt das sowieso nie.“ Sein Praxistipp: Die Zuständigkeiten seien genau zu definieren, denn: „Ehe ein Mädchen sich in Lichttechnik reingedacht hat, gibt es drei Jungen, die ihr das aus der Hand nehmen!“.

Die Berichte der Lehrer und die wissenschaftliche Bewertung bestätigen einmal mehr die Befunde aktueller Genderstudien. Etwa, dass Jungen sich in hierarchischen Strukturen besser orientieren können, Mädchen dagegen eher die Kooperation schätzen. Wie nachhaltig sich die geschlechterrollenverhaftete Technikkompetenzzuschreibung auswirkt, zeigte das Verhalten der Mädchen (wie Lehrerinnen). Nachdem sie gelernt hatten, mit verschiedenen Programmen umzugehen, riefen sie trotzdem die Jungen (oder männlichen Kollegen) um Hilfe.

Die Genderproblematik aufzugreifen, sei ein erster Schritt in Richtung Gleichbehandlung, darin waren sich die Beteiligten einig. Dennoch plädieren sie nicht für eine Rückkehr zur Monoedukation. „Reflektierte Koedukation“ heißt die neue Zauberformel, die unterschiedliche Zugangsweisen von Jungen und Mädchen akzeptieren und berücksichtigen soll. Wer die Unterschiede ignoriere, erreiche das Gegenteil von Gleichstellung.

Der genaue Blick lohnt. So waren die befragten Lehrkräfte der Meinung, Jungen hätten zwar nicht mehr Kenntnisse im Umgang mit den Neuen Medien, dafür jedoch „mehr Selbstvertrauen und weniger Furcht beim Umgang mit Technik“. Wahrscheinlich nutzen sie solch furchtlosen Umgang auch in anderen Fächern, nur mit unterschiedlichem Erfolg. Beim Umgang mit Computern jedenfalls ist die Show perfekt, wie die Studie am Beispiel „Technikdefizite bei Jungen“ erläutert. Jungen gäben sich gern allwissend und cool, hätten jedoch kaum profunderes Wissen über Hard- oder Software als Mädchen. Kein Wunder: „Nicht auf fehlende Technikkompetenz ausdrücklich verwiesen, sahen sie offenbar weniger Veranlassung als die Mädchen, sich auf diesem Gebiet ernsthaft weiterzubilden.“

Wenn aus vereinzelten geschlechtsspezifischen Projekten Lehren für den PC-Unterricht gezogen werden, ist dies ein erster Schritt – immerhin. Doch was wird nach der Schule? Wie gehen die Ausbilder mit ihren Azubis um? Üblicherweise genauso wie die Lehrerschaft an den Schulen: Die verschiedenen Lernweisen werden ignoriert.

Nicht so beim Modellprojekt „Weiterbildung von IT-Fachfrauen zu Ausbilderinnen“. Durchgeführt wird es von Christiana Klose und Iris Stolz vom Offenbacher Weiterbildungsinstitut „Inbas“. Sowohl Schulabgängerinnen als auch Wiedereinsteigerinnen besuchen die Seminare. Obgleich Klose es nicht so nennt, operiert auch ihr Konzept als „reflexive Koedukation“.

Die herkömmliche Ausbilderausbildung gibt Frauen zu wenig Praxiseignung mit, erkannte Klose und entwickelte branchen- und frauenorientierte Bausteine für ein überarbeitetes Curriculum – wie „Zugänge junger Frauen in IT-Berufe“, „Frauenförderung“ oder „Vernetzung“. Die bisher gängigen Kurse sind hingegen an einer idealen Wirklichkeit ausgerichtet. Auf den Joballtag kann der Ausbilder die frisch gebackenen IT-Frauen so nicht vorbereiten.

Da heißt es dann etwa: „Wann kommt denn Ihr Kollege?“ Dieses Beispiel erzählte eine Systemelektronikerin im Offenbacher Kurs. Eine andere berichtete von zwanzig Männern, die sich um sie herum gruppiert hatten und Beifall klatschten, als sie die Panne im Computersystem erfolgreich behoben hatte. Hier wächst kalte Empörung. Wie damit umgehen? Patentrezepte gibt es nicht. Aber doch Erfahrungswerte. Frauen, die sich in der IT-Branche durchgesetzt haben, können von der Alltagsbewältigung berichten, Erfahrung weitergeben, das war der Grundgedanke des Konzepts. Gleichzeitig – und nicht weniger wichtig – könnten sie Vorbilder für junge Frauen sein.

Vorbilder wie die Informatikerin Mechthild Sass, die erst vor kurzem ihre Ausbildereignung absolviert hat. In der Weiterbildung war sie die einzige Frau neben siebzehn Männern. Im Nachfolgekurs, bei dem sie jetzt selbst Ausbilderin ist, bietet sich ihr dasselbe Bild: Eine Frau, neunzehn Männer. Diese eine Frau, so Sass, habe sie anfangs kaum gesehen, kaum gehört. „Als die gemerkt hat, da vorne steht eine, die weiß, wovon sie redet, wurde sie plötzlich viel lockerer.“ Frauen müssten sich Männern gegenüber „erst mal fachlich beweisen“, hat Sass festgestellt. Habe man den Test erst einmal bestanden, sei die Geschlechtszugehörigkeit kein großes Thema mehr. Sie nimmt es pragmatisch: „Man wird anfangs halt bestaunt, das eben so in männerdominierten Berufen.“

Das Prinzip der Modellkurse – voneinander lernen, Vorbildfunktion einnehmen – soll als Selbstläufer weiter funktionieren, auch nachdem das Projekt im Dezember 2002 ausläuft. Deshalb beinhaltet der Ansatz auch den Netzwerkgedanken. Eine Internetplattform (www.it-ausbilderinnen.de) und regelmäßige Treffen flankieren die Modellkurse in Saarbrücken, Dresden, Offenbach und Potsdam. Jeder Netzknotenpunkt wird von einer Fachfrau oder Coachingexpertin moderiert.

Davon können Männer bisher nur träumen. Und das tun sie offenbar tatsächlich. Immer öfter rufen beim Inabas-Team genervte IT-Experten an und fragen nach männerspezifischen Kursen. Wohlgemerkt: Nicht nur die Frauen der IT-Branche leiden an eingefahrenen Strukturen. Auch Männer würden sich gern branchenspezifisch auf das Business vorbereiten lassen. Und auch sie würden Ausbildervorbilder begrüßen, die unterschwellig gegen eine familien- und freizeitfeindliche Tendenz der Branche anlehrten.

SYLVIA MEISE, 40, lebt als freie Journalistin in Frankfurt am Main