Alles außer Geld

Mitten in der Krise macht Neun Live erstmals Gewinn und sucht nach neuen Gründen, warum Zuschauer bei dem „Mitmachsender“ anrufen sollten

von HEIKO DILK

Als Christiane zu Salm im August 2001 Neun Live vorstellte, sagte sie etwas Bemerkenswertes: „Wir machen ja eigentlich gar kein Fernsehen mehr.“ Das stimmt, und es stimmt doch nicht. Einerseits ist Neun Live nun mal ein Fernsehsender mit einem Programm. Andererseits hat das Programm nur wenig mit herkömmlichem Fernsehen zu tun.

Damit soll nun nicht wieder die Qualität der Moderatoren und Sendungen gemeint sein. Schließlich lässt sich mit durchschnittlich 10.000 Euro pro Stunde nun mal kein Hochglanz-TV produzieren. Und ein Großteil des Erfolgs des „Mitmachsenders“ beruht nun mal auf niedrigen Kosten.

Was den Sender eigentlich vom normalen Fernsehen unterscheidet, ist, dass er funktioniert wie ein Glücksspielautomat: Ein paar blinkende Lichter, schnarrende Walzen und rotierende Scheiben, verbunden mit der Chance auf einen kleinen Geldgewinn. Wissen wird bei den diversen Rateshows bislang kaum verlangt: „Wie heißt die Statue im Hafen von New York?“, wird da gefragt. Oder: „Was für einen Geldschein halte ich in der Hand?“ So was motiviert mittlerweile rund 500.000 Zuschauer pro Tag dazu, bei Neun Live anzurufen. Dafür zahlen sie meist 49 Cent pro Gespräch – bei Nacht, wenn Nacktheit dominiert, und die Fragen sich um Fellatio und Gruppensex drehen, während sich freizügige Pärchen auf einer Liegewiese abmühen, das zu illustrieren, wird es etwas teurer.

Permanentes Plappern

Damit, mit ein bisschen Werbung und mit dem Verkauf von Reisen, der über Animationssendungen wie „Sonnenklar“ angeheizt wird (Umsatz im 3. Quartal 2002: 27,6 Millionen Euro, was einer Steigerung um etwa 50 Prozent gegenüber dem 2. Quartal entspricht), hat der Sender mitten in der Krise erstmals die Gewinnzone erreicht.

Den Löwenanteil (70 Prozent) macht Neun Live aber mit den Telefonanrufen. 5,35 Millionen Euro Gewinn sind so nach Senderangaben im 3. Quartal 2002 rausgesprungen.

Da kann man noch so sehr spotten über permanent plappernde Nachwuchsmoderatoren – so sieht Erfolg aus. Und die Senderchefin mit dem Zahnarztfrauenlächeln könnte sich eigentlich beruhigt zurück lehnen. Oder sich einen neuen Sender suchen, den sie auferstehen lassen kann aus „Ruinen“, wie sie einst die Situation beim Vorgänger tm3 charakterisierte.

Doch offenbar hat man bei Neun Live die Befürchtung, dass die Zahl der TV-Zocker begrenzt sein könnte. Ebenso wie die der Spieler, die sich regelmäßig in dunkelholzigen Eckkneipen rumtreiben. Auch wenn man glaubt, die „Zahl der Calls weiterhin steigern zu können“. Über 200 Millionen sollen es im nächsten Jahr werden. Geradezu großspurig ist die Zielvorgabe nicht. Bedeutet sie doch lediglich eine Stabilisierung des im 3. Quartal erzielten Ergebnisses – man kann das auch Stagnation nennen.

„Es muss ja auch noch andere Gründe geben, warum Leute bei einem Fernsehsender anrufen wollen“, sagte Salm vor einiger Zeit der Financial Times Deutschland (FTD). Ein Blick nach Argentinien, brachte sie auf die Idee, die Arbeitslosen-Vermittlungsshow „Recursos Humanos“ (zu deutsch: Human Resources) abzukupfern. Dort entscheiden Zuschauer mit ihrem Anruf darüber, welcher von zwei Kandidaten eine ausgeschriebene Stelle bekommt. In Deutschland stieß das Konzept allerdings auf harsche Kritik.

Verhinderungstaktik

Mittlerweile hat Salm nachgebessert. Wie Neun-Live-Sprecher Johannes Schmitz sagt, soll die Arbeitslosenshow eine „seriöse Informationssendung mit glasklarem Nutzen“ werden. Die Anrufe sollen gratis sein, und die Zuschauer auch nicht mehr abstimmen dürfen, wer den Job bekommt. Und eine Politik-Show ist in Planung. Es sei ja vorstellbar, so zu Salm zur FTD, „dass Deutschland anruft, um (politisch) irgendetwas zu verhindern“. Und, Überraschung: Die Fragen sollen schwieriger werden. Das würde natürlich eine Kursänderung bedeuten: Weg vom Glücksspielautomaten-Prinzip, hin zu mehr Anspruch.

Dabei ist doch die Idee, statt eines dümmlichen Programms gar keines zu produzieren auch ganz reizvoll: Man ruft einfach eine bekannte Telefonnumer an, und ein Zufallsgenerator sorgt für Verlierer und Gewinner. Schließlich hatte Salm schon im September gesagt, „von der Strategie her entwickeln wir uns zu einem Mini-Telekom-Unternehmen mit angeschlossenem Fernsehsender“. Nur: Funktionieren würde das wohl leider nicht. Ebenso wenig wie ein Einarmiger Bandit ohne bunte Dinge, die sich bewegen.