Outlaws aus der zweiten Reihe

Das Lied vom Tod kann schließlich jeder spielen: Das 3001-Kino zeigt unter dem Titel „Im Saal der blutigen Stiefel“ in dieser Woche sechs unbekanntere, doch nicht weniger pessimistisch gestimmte Italo-Western der 60er und 70er Jahre

Anders als im US-Western bleiben die Helden hier meist schmutzig, staubig und stinkend

von DAVID KLEINGERS

Oft und gerne wird über absurde deutsche Verleihtitel gelästert – aber bitte nicht, wenn es um Italo-Western geht. Denn nirgendwo brachten Übersetzer schönere Stilblüten hervor als in diesem Sub-Genre der 60er und 70er, weshalb ein Film wie Django und die Bande der Bluthunde (1969) allein schon seines Namens wegen alle Aufmerksamkeit verdient. Und ganz im Geiste derart brutal-poetischen Posings präsentiert das 3001 nun unter dem Motto „Im Saal der blutigen Stiefel“ sechs kühne Pferdeopern aus der italienischen Schule.

Da mittlerweile jeder halbwegs mediensozialisierte Cowboy Spiel mir das Lied vom Tod auf dem Kamm blasen kann, verzichtet die Reihe auf sattsam Bekanntes. Statt Sergio Leones Mundharmonika-Massaker oder der gleichermaßen abgefeierten „Dollar-Trilogie“ gilt es also, die sträflich vernachlässigten Outlaws aus der zweiten Reihe zu entdecken, etwa in Keoma – Melodie des Sterbens (1976). Als Kriegsheimkehrer Keoma muss sich die Genre-Ikone Franco Nero mit rücksichtslosen Banditen herumschlagen, die eine ohnehin von Pocken gebeutelte Dorfgemeinde dezimieren. Dabei helfen ihm lediglich sein Stiefvater und ein ehemaliger Sklave (Woody Strode), was Enzo G. Castellaris Film bisweilen zu einem extrem pessimistischen Wiedergänger von Howard Hawks‘ Rio Bravo macht.

Während in den US-amerikanischen Star-Western der 50er selbst der Dorfsäufer noch irgendwann den Weg in die Badewanne findet, bleiben die zweifelhaften Helden hier meist schmutzig, staubig und stinkend – eben genau so, wie ihre hoffnungslose Welt sie schuf. Dazu kommt das charakteristische Scheißegal-Charisma, mit dem sich die Protagonisten wirkungsvoll vor sentimentalen Anwandlungen oder gar Idealismus schützen. So spielt Töte, Amigo (1966) von Damiano Damiani zwar vor dem Hintergrund der mexikanischen Revolution, aber letztlich verschwimmen die Grenzen zwischen den konkurrierenden Parteien angesichts der exzessiven Gewaltanwendung auf allen Seiten.

Wo kein Land erobert und keine Geschichte mehr geschrieben wird, gibt es auch keinen politischen Entscheidungsspielraum: Entweder üben sich die bitteren Helden im resignativen Nichtstun – was aber keinesfalls vor einer Kugel im Rücken schützt –, oder aber sie werden zwangsläufig zu Mördern. Ein Titel wie Töte Django (1967) von Guilo Questi ist daher tatsächlich als Handlungsanweisung zu verstehen, und nicht ganz untreffend konstatierte die katholische Filmkritik eine „Aneinanderreihung sadistischer Scheußlichkeiten“. Mit selbigen geizt auch die eingangs erwähnte Rachemär Django und die Bande der Bluthunde von Sergio Garrone nicht, doch eine rein moralische Bewertung der ebenso drastischen wie stilisierten Brutalitäten ignoriert den zutiefst nihilistischen Tenor der Filme.

Was aber nicht bedeutet, dass sich aus der Ausweglosigkeit kein absurder Humor entwickeln ließe. So zeigt Sergio Corbucci in Die rote Sonne der Rache (1972) ein verwegenes Gangsterpärchen (Tomas Milian und Susan George) auf der Flucht vor einem bigotten Gesetzeshüter. Der trägt nicht nur den wunderschönen Namen Franciscus, sondern wird obendrein von Oberglatze Telly Savalas gespielt. Das Resultat überzeugt als kruder, aber äußerst abwechslungsreicher Galopp durch die Instanzen des Italo-Westerns, der hier seine Fähigkeit zur Selbstparodie beweist.

Doch wirklich heimisch fühlen sich all die Ringos, Djangos, Gringos, Sartanas oder – auch sehr schön – Silenzios nur dort, wo Zwei Companeros (1970) schon einer zu viel sind und Gnade als böses Schimpfwort gilt. Nicht umsonst hat Christian Kessler seinem Band zum Genre den Titel Willkommen in der Hölle verpasst. Und sicher kann der Autor den Zuschauern im 3001 neue Perspektiven auf das gottlose Treiben eröffnen. So hat die Filme im Gegensatz zu ihren Figuren ein besseres Schicksal ereilt: Wenn die Helden im Italo-Western sterben, gehen sie nicht in die Legende ein, sondern werden bestenfalls am Wegesrand verscharrt. Aber ihre schmutzigen Kino-Balladen mit den klangvollen Titeln bleiben erhalten, und angesichts von so viel Tod kann ein bisschen Unsterblichkeit ja nicht schaden.

Keoma: Do; Töte Amigo: Fr; Lange Nacht mit Keoma + Zwei Companeros: Sa; Töte Django: So; Django und die Bande der Bluthunde: Mo; Die Rote Sonne der Rache: Di; Zwei Companeros: Mi; alle 22.30 Uhr, 3001Christian Keßler: Willkommen in der Hölle. Der Italo-Western im Überblick, Terrorverlag, 30 Euro; der Autor ist am Samstag zu Gast im 3001