DER ZAHNARZT-SKANDAL VERWEIST AUF DAS MARODE GESUNDHEITSWESEN
: Illegale Selbsthilfen gegen Nullrunden

Zahnärzte eignen sich hervorragend zum gesellschaftlichen Feindbild. Haben sich den lukrativsten Bereich der Medizin herausgesucht und lächeln trotz knapper Kassen im Gesundheitswesen immer noch selbstzufrieden aus ihrem goldbekronten Mund. Der jüngst bekannt gewordene Abrechnungsbetrug mit Schwerpunkt in Nordwestdeutschland scheint dieses Vorurteil zu bestätigen. Mit Billigmaterial aus Asien wurden Krankenkassen und Patienten geprellt, mehr als neunhundert Dentisten sollen bundesweit in den Skandal verwickelt sein.

Schwarze Schafe gibt es überall, auch unter Ärzten. Jetzt allein das Klischee vom geldgierigen Dr. Raffzahn zu strapazieren wäre allerdings zu billig, auch wenn es so manchem schnell aus dem amalgamsanierten Mund kommen mag. Wenn der Betrug mit dem fernöstlichen Füllmaterial zu einem Befund taugt, der über die Kriminalisierung eines Berufsstandes hinausgeht, dann zu diesem: Kein Arzt – ob für Menschen, Tiere oder Zähne – ist in seiner Ausbildung mit betriebswirtschaftlichen Kenntnissen vertraut gemacht worden.

Ein Teil hat die Heilkunde aus einem Helferimpuls heraus studiert, der andere hatte wohl in erster Linie gesellschaftliches Ansehen und die goldene Zukunft im Blick. Doch seit einigen Jahren unterliegt das Arztbild einem dramatischen Wandel. Immer häufiger hinterfragen Patienten die Methoden der Medizin, sehen keine individuelle Verbesserung in dem, was ihnen als medizinischer Fortschritt angeboten wird. Und die Ärzte haben in den vergangenen Jahren massive Verdiensteinbußen hinnehmen müssen, sehen sich als Lückenbüßer in einem maroden Gesundheitswesen, das nur noch Reparaturmaßnahmen ausführt, aber keine Vision mehr für das Ganze bietet. Symptomatisch dafür mag die Häufung von Abrechnungsbetrügereien sein. Wenn das System mit Nullrunden droht, schreiten immer mehr Ärzte zur illegalen Selbsthilfe. Vielleicht ist das billigere Füllmaterial aus Asien aber auch eine günstige Alternative, um dem Gesundheitswesen ein paar unverhoffte Einsparungen zu bescheren. Nur richtig abrechnen müsste man es dazu noch. WERNER BARTENS

Der Autor ist Arzt und Redakteur der Badischen Zeitung