Die schwarze Gischt

„Weniger Politik, mehr Hilfe“ fordern die Menschen an der betroffenen Küste – bislang vergeblich

aus Malpica REINER WANDLER

„Ja … ja … ja“, das ist alles, was José Ramón Varela von sich gibt. Dazwischen hört er ruhig zu. Erst als er den Hörer auflegt, verändert sich sein Gesicht. Enttäuschung zeigt sich. José Ramón Varela ist Bürgermeister von Malpica, dem wichtigsten Fischerdorf an der Costa da Morte, der Todesküste, im nordwestspanischen Galicien. „Bereits gestern habe ich bei der regionalen Vertretung der Zentralregierung um Material für die Reinigung der Strände gebeten. Jetzt haben sie mir abgesagt“, erklärt Varela.

200 Schaufeln und ebenso viele Schutzanzüge hätte er gerne gehabt. Die entsprechenden Helfer, um die acht Strände der Gemeinde zu säubern, haben sich freiwillig gemeldet. Möchte er sie nicht nach Hause schicken, bleibt Varela nichts anders übrig, als die Ausrüstung aus der Gemeindekasse zu bezahlen.

„Das war von Anfang an so, keinerlei Koordination“, beschwert sich Varela. „Als die ‚Prestige‘ da draußen rumschlingerte, bis sie endlich unterging, bekamen wir überhaupt keine vernünftigen Informationen“, beschwert er sich. Und jetzt bei den Aufräumarbeiten schickte die Regierung zwei Tage eine Gruppe von Soldaten, um den Strand direkt im Ort zu reinigen.

An den anderen Küstenabschnitten seiner Gemeinde aber geschah nichts, und das, obwohl ein Teil davon Vogelschutzgebiet ist. Varela fühlt sich von der Politik im Stich gelassen. Der Umweltminister aus Madrid, Jaume Matas, hat fünf Tage gebraucht, bis er die betroffenen Dörfer besuchte. Der Präsident der Regionalregierung, Manuel Fraga, sogar eine ganze Woche.

Überall an dem mittlerweile 300 Kilometer langen verseuchten Küstenabschnitt beschweren sich die Menschen über fehlende Hilfe. In der ersten Woche waren gerade einmal 150 Soldaten zur Säuberung der Strände abgestellt. Jetzt wurde das Kontingent um weitere 150 aufgestockt. Das macht einen Soldaten pro Kilometer. Sie sammeln das Öl mit Eimern und Schaufeln ein. Bagger und Raupenfahrzeuge gibt es nicht. Die unzähligen Freiwilligen aus Galicien und dem restlichen Spanien müssen mangels Material oft untätig herumstehen.

Wer schwimmende Anti-Öl-Barrieren braucht, dem ergeht es nicht besser. Den Fischereiverein in Corcubión, im äußersten Westen Galiciens, ließ der Küstenschutz am Mittwoch 17 Stunden warten, bevor eine Barriere bereitgestellt wurde, um die dortigen Muschelbänke zu schützen. Erst gestern schließlich forderten die Behörden ausländische Hilfe an. Rund drei Tage wird es dauern, bis die Spezialschiffe zum Absaugen von Ölteppichen aus Deutschland, Großbritannien und Italien in der Region ankommen.

„Weniger Politik, mehr Hilfe“ fordert José Manuel Baña. Der unrasierte wortkarge Mann ist Fischer. Seit vor einer Woche das Öl an die Felsen schwappte, schaut er stundenlang hinaus aufs Wasser. Wann er wieder arbeiten kann, das weiß keiner zu sagen. „Die hätten gleich von Anfang an ausländische Hilfe anfordern sollen, anstatt so stolz zu sein und alles alleine bewältigen zu wollen“, schimpft er.

Auch hier im kleinen Fischerort Camelle gehen die Arbeiten nicht voran. Schuld sind zum einen das Wetter, zum anderen fehlende Mittel. Bis zu 9 Meter hohe Wellen schlagen gegen die Hafenmauer und überspülen sie. Wenn das Wasser abläuft, bleiben überall schillernde Flecken zurück. Die Gischt ist schwarz. Die Felsen sind mit einer schwarzen, klebrigen Schicht überzogen.

Hier, in Camelle, haben sich an drei Stellen riesige Öllachen gebildet. Die zwei Arbeiter des staatlichen Dekontaminierungsunternehmens pumpten in den letzten drei Tagen 90 Tonnen ab. Und noch ist kein Ende in Sicht. „Warum schicken sie nicht mehr Tankfahrzeuge?“, fragt Fischer Baña. Mit jeder Flut wird ein Teil des Öls über bisher noch saubere Felsen gespült. „Die Regierung in Madrid und die der Region wiederholen immer wieder, dass sie alles im Griff hätten. Das sehen wir hier ja“, schimpft auch der Sprecher des Fischereivereins von Camelle, José Manuel Dosil.

Was ihn am meisten ärgert: Die „Prestige“ ist nicht das erste schwere Unglück. Und dennoch haben die Behörden keinen Plan für eventuelle Krisen ausgearbeitet. Dosil zweifelt daran, dass es eine gute Idee war, den Tanker „Prestige“ aufs offene Meer zu ziehen. „Die andere Möglichkeit wäre gewesen, das Schiff in eine der engen Buchten zu schleppen und dort die Ladung zu löschen“, gibt er wieder, was viele hier an der Küste denken. „Eine Bucht hätte man leichter abriegeln können. Und wenn das schief gegangen wäre, hätte das Öl eine Bucht verseucht und nicht wie jetzt die ganze Küste“, ist er sich sicher. Er zeigt dabei auf ein in der Zeitung veröffentlichtes Satellitenfoto, auf dem die Ölteppiche zu sehen sind. Der größte ist über 250 Kilometer lang.

„Das reicht, um noch viel mehr Schaden anzurichten. Selbst wenn die Rechnung der Behörden aufgeht und das Öl in den Tanks der gesunkenen ‚Prestige‘ nicht an die Oberfläche kommt“, sagt er. Nach einem weiteren Blick auf das Foto fügt er hinzu: „Alles, was das Meer hat, geht entweder unter oder kommt irgendwann an Land.“