Frauen an die Friedensfront


von UTE SCHEUB

Häusliche und kriegerische Gewalt können einander ergänzen. Dieser Erkenntnis und dem beharrlichen Druck zahlreicher Frauenorganisationen auf die UNO war es geschuldet, dass der Weltsicherheitsrat vor gut zwei Jahren seine bislang frauenfreundlichste Resolution verabschieden ließ. In der Resolution 1325 wird die gleichberechtigte Einbeziehung von Frauen auf allen Ebenen von Friedensprozessen gefordert, die Besetzung hoher UN-Posten mit Frauen und der Einsatz weiblicher Peacekeeper. Eine Studie sollte zudem die Rolle von Frauen in Krieg und Frieden genauer untersuchen.

Zum heutigen „Internationalen Tag Nein zu Gewalt gegen Frauen“ liegen dazu sogar zwei Studien vor. Die erste, „Women, War and Peace“, wurde von der UN-Frauenhilfsorganisation Unifem in Auftrag gegeben und im Internet veröffentlicht (siehe Hintergrund). Diese Untersuchung widmet sich vor allem den Nöten von Überlebenden, die nach Kriegen vielerorts unter entsetzlichen Bedingungen leben. Die zweite Studie, „Women, Peace and Security“, wurde im Auftrag des Weltsicherheitsrats gefertigt und beleuchtet mehr die interne UN-Organisation: Welche neuen Prioritäten ergäben sich bei Umsetzung des „Gender Mainstreamings“ – die Berücksichtigung der Tatsache, dass Frauen andere Bedürfnisse haben als Männer.

Das beginnt mit dem engen Zusammenhang zwischen häuslicher und kriegerischer Gewalt, den beide Studien erwähnen. Nur 45 von knapp 200 Staaten haben den Autorinnen von „Women, War and Peace“ zufolge Gesetze, die vor häuslicher Misshandlung schützen, doch würden diese oft nicht angewandt. Diese Form der Gewalt sei eine „akzeptierte Norm“, die in Kriegszeiten durch die allgegenwärtige Präsenz von Waffen „neue Ebenen der Brutalität“ erreiche. Im Nachkriegskambodscha etwa hätten 75 Prozent aller Frauen häusliche Gewalt erlebt, oft durch Männer, die ihre Kriegswaffen behalten hatten.

Auch auf dem Balkan eskalierten die innerfamiliären Grausamkeiten in und nach den Kriegen. „Ihr müsst verstehen“, so ein mazedonischer Mann zu den Autorinnen, „ich bin so gestresst durch den Krieg. Es ist unvermeidbar, dass ich meine Frau schlage.“ Viele Exsoldaten, die Gräueltaten erlebten oder selbst begingen, verlören offenbar jede innere Orientierung. So wie jene vier Kämpfer einer US-Spezialeinheit, die vor kurzem nach ihrer Rückkehr aus Afghanistan allesamt ihre Frauen töteten.

Auch in Flüchtlingslagern gibt es hohe Gewaltraten. „Die Männer in den Camps verlieren ihre Identität und ihre Würde. Sie sitzen den ganzen Tag herum und lassen nachts ihre Frustration an Frauen und Kindern aus“, zitieren die Autorinnen eine Sozialarbeiterin aus Sierra Leone.

Dennoch herrscht bei manchen UN-Hilfsorganisationen wenig Bewusstsein darüber vor, dass die Mehrheit ihrer Klientel weiblich ist. Oft gibt es in den Lagern keine Binden und Tampons, keine Versorgung Schwangerer, kein weibliches Sicherheitspersonal, zu dem eine misshandelte Frau gehen könnte. Ganz im Gegenteil: Mitte diesen Jahres wurde ruchbar, dass sich minderjährige Mädchen in Guinea, Liberia und Sierra Leone gezwungen sahen, ihren Körper an UN-Peacekeeper zu verkaufen, um an Essen oder Medizin zu kommen – Güter, die ihnen gratis zustehen.

Die UNO ist in Finanznot, ihre Flüchtlingsorganisation musste jüngst Kürzungen von 20 Prozent hinnehmen. Und wo wegen Geldmangels Nahrung fehlt, nehmen Prostitution und Frauenhandel zu. Die fast durchweg männlichen UN-Peacekeeper „können ein Teil des Problems statt ein Teil der Lösung werden“, heißt es in der Unifem-Studie. Kambodscha ist das bekannteste Beispiel: Dort verhalfen Blauhelme der Sexindustrie zum Aufschwung – inklusive HIV-Infektionsrate.

In Bosnien und im Kovoso wurden Frauen nicht nur vergewaltigt, sondern auch gezwungen, die Kinder ihrer Feinde auszutragen. In Ruanda riefen Offiziere HIV-kranke Soldaten zur Vergewaltigung von Tutsi-Frauen auf. Solche Frauen werden vielfach getroffen: Sie erleben Kriegsgewalt, sexuelle Gewalt und soziale Isolation, weil die Schande nicht die Vergewaltiger, sondern die Vergewaltigten trifft. Am Ende erhalten nicht die Täter, sondern die Opfer die Todesstrafe: Aids.

Dem Horror zum Trotz trafen die Autorinnen beider Studien in allen Krisenregionen der Welt unzählige Frauen, die sich für Frieden und Versöhnung stark machten: die „Nationale Frauenbewegung gegen Krieg“ in Kolumbien oder die Vereinigung ruandischer Witwen (Avega). Oder auch den „Sechsten Clan“ in Somalia. Im Mai 2000, als die Männer fünf somalischer Clans Friedensverhandlungen führten, gründeten die ausgeschlossenen Frauen einen eigenen, Ethnien übergreifenden Clan. „Wir setzten uns für Frauenquoten im Übergangsparlament ein“, erzählte eine von ihnen. „Aber kein Mann wollte von Frauen repräsentiert werden.“ Doch sie erreichten, dass 25 von 245 Sitzen für Frauen reserviert wurden. Die dort verabschiedete Charta für die Rechte von Frauen, Kindern und Minderheiten gilt als die beste in der islamischen Welt.

Die wichtigsten Empfehlungen von „Women, War and Peace“, die die Autorinnen dem Weltsicherheitsrat Ende Oktober auch mündlich darlegten, lauten deshalb: gleichberechtigte Präsenz von Frauen – mindestens jedoch 30 Prozent – bei allen Friedensverhandlungen, Einrichtung eines UN-Fonds für Friedensaktivistinnen und Gender-BeraterInnen für alle UN-Missionen. Auch wiesen sie den Rat auf seine Verpflichtung hin, einen Plan zur weltweiten Rüstungskontrolle aufzustellen, wonach er laut Art. 26 UN-Charta seit Jahrzehnten verpflichtet wäre. Da seine ständigen Mitglieder die größten Rüstungsexporteure der Welt sind, wird er hier sicher weiter durch Untätigkeit glänzen.

„Women, War and Peace“ wie auch „Women, Peace and Security“ wurden Ende Oktober im Weltsicherheitsrat diskutiert. Am Ende der Sitzung verabschiedete das Gremium ein „Presidental Statement“, in dem es sich verpflichtet, „Gender Perspectives“ in die Mandate aller zukünftigen Friedensmissionen zu integrieren. Ein Novum in der Geschichte der UNO, aber ob sich dieser Ansatz verwirklichen lässt, hängt auch davon ab, wie viel Druck die Frauenorganisationen der Mitgliedsländer der UNO machen.

Das war’s dann aber auch schon mit den Fortschritten. Zwar ermahnt der Sicherheitsrat die UN-Mitgliedsstaaten, die Anzahl der Frauen auf UN-Führungsposten zu erhöhen, aber er vermeidet es, eine Zielmarke für die volle Verwirklichung der Gleichberechtigung zu setzen; in beiden Studien wird dafür konkret das Jahr 2015 genannt. Faktisch geht die Zahl der Chefinnen in UN-Organisationen seit den Neunzigerjahren sogar zurück, derzeit sind es nur noch drei.

Auch mit der Unterstützung von Friedensaktivistinnen scheint es der Männerrat so ernst nicht zu meinen. Die gleichberechtigte Teilnahme von Frauen an allen Friedensgesprächen wird nicht mehr erwähnt. Stattdessen „anerkennt der Sicherheitsrat die vitale Rolle von Frauen in der Förderung des Friedens, besonders in der Bewahrung der sozialen Ordnung und der Friedenserziehung“. Die Frau als mildtätige Sozialarbeiterin in einer von Soldaten und Rüstungsproduzenten zerstörten Welt – ist es das, was sich die Herren der Weltsicherheit erträumen?