Sezers präsidiale One-Man-Show

Der türkische Staatschef besucht Deutschland ohne seine Gattin. So verhindert er den Auftritt der kopftuchtragenden Frau des Parlamentspräsidenten am Flughafen. Hinter der Episode verbirgt sich ein Kulturkampf zwischen Laizisten und Islamisten

aus Istanbul JÜRGEN GOTTSCHLICH

Als der türkische Präsident Ahmet Necdet Sezer gestern mit Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit durchs Brandenburger Tor bummelte, musste er dies ohne seine Frau tun. Frau Sezer war zu Hause geblieben, nicht, weil sie keine Lust auf Berlin hatte oder das Damenprogramm zu unattraktiv war, sondern um einer möglichen Staatskrise in Ankara vorzubeugen. Die One-Man-Show des türkischen Präsidenten in Deutschland ist Ausdruck eines beginnenden Kulturkampfes zwischen der neuen Regierung der konservativ-religiösen AK-Partei und dem laizistischen Teil der Gesellschaft.

Wenn der türkische Präsident sich ins Ausland aufmacht, wird er vom Parlamentspräsidenten, protokollarisch Zweiter in der Staatshierarchie, am Flughafen verabschiedet. So auch am Mittwoch vergangener Woche, als das Ehepaar Sezer zum Nato-Gipfel nach Prag reiste. Dabei kam es zu einem Eklat. Der neu gewählte Parlamentspräsident der konservativ-religiösen AK-Partei, Bülent Arinc, erschien zu Ehren des Präsidentenpaares ebenfalls mit seiner Frau, und die trug, zum Entsetzen der versammelten Staatsspitze, ein Kopftuch.

Da die Szene sich im Rahmen des offiziellen Protokolls abspielte, kam sie einem Tabubruch gleich. Das erste Mal seit den frühen Tagen der Türkischen Republik wurde gegen die laizistische Kleiderordnung verstoßen, die auf Republikgründer Mustafa Kemal Atatürk zurückgeht.

Es folgte ein Aufschrei in den wichtigsten Medien des Landes, den der Parlamentspräsident mit der Bemerkung konterte, der Präsident sei beim Händeschütteln mit seiner Frau ganz gelassen gewesen. Das mochte Sezer nicht auf sich sitzen lassen und erklärte nach seiner Rückkehr vom Nato-Gipfel, das Kopftuch sei bei offiziellen Anlässen weiter verboten und keinem sei gedient, wenn an diesem Verbot gerüttelt würde. Da er aber der Frau des zweiten Manns im Staate nicht von der Polizei das Kopftuch abnehmen lassen kann, bleibt Frau Sezer vorläufig zu Hause, denn dann kommt auch Frau Arinc nicht zum Flughafen.

Was absurd klingt, ist in Wahrheit ein Kulturkonflikt. Zwar haben Tayyip Erdogan und sein Premier Abdullah Gül angekündigt, die neue Regierung werde beweisen, dass Islam und Moderne durchaus kompatibel sind, doch in der Praxis ist das nicht so einfach. Nach 70 Jahren, in denen der Laizismus in der Türkei nicht nur die Trennung von Staat und Religion, sondern auch die Hinwendung zum Westen und ein Bollwerk gegen islamistische Anwandlungen bedeutete, fällt es auch erklärten Verfechtern einer freiheitlichen Demokratie schwer, Szenen wie die am Flughafen als normal zu akzeptieren.

Ertorul Özkök, Chefredakteur der einflussreichsten Zeitung Hürriyet, bekannte in einer Kolumne, er habe sich zwar seit Jahren für die Aufhebung des Kopftuch-Verbots an den Universitäten stark gemacht, allein der Auftritt von Frau Arinc habe doch ein großes Fragezeichen bei ihm aufscheinen lassen. Die Zeitung Cumhuriyet sieht nicht nur Fragezeichen, sondern die schleichende Islamisierung bereits im vollen Gange. Vor ein paar Tagen enthüllte sie als Titelgeschichte, dass Abgeordnete der AK-Partei, darunter der neue Innenminister Abdulkadir Aksu, demonstrativ in der Lobby des Hilton-Hotels gebetet hätten statt in dem dafür vorgesehenen Raum.

Premier Abdullah Gül sah sich genötigt, die Abgeordneten zu bitten, künftig von solchen Demonstrationen abzusehen. Gül hat in seiner Regierungserklärung Ende vergangener Woche angekündigt, seine Regierung wolle die Verfassung ändern, um den individuellen Freiheitsrechten zum Durchbruch zu verhelfen. Bis dahin wird Frau Sezer wohl zu Hause bleiben müssen.