Gold ist das Auge des Teufels

„Ein Missverständnis“, sagt Mike Steyn. „Es sind nur ein paar Fische gestorben“„Wir werden das Hindernis sein!“, sagt Eugen Cornea. Er will siegesgewiss klingen

aus Rosia Montana KENO VERSECK

„Sie wollen also etwas über den Vorfall vom letzten Jahr wissen. Welchen meinen Sie denn?“ Mike Steyn hat Recht. Es gab mehrere Vorfälle. Genauer gesagt: Unfälle. Zyanidunfälle.

Er ist zurückgezuckt, kaum merklich. Er hat die Gegenfrage mit einer Spur Ärger in der Stimme gestellt. Weitere Gefühlsregungen zeigt er nicht mehr.

Letztes Jahr im Oktober. Er wartet nicht auf Einzelheiten. „Da liegt ein Missverständnis vor“, sagt er nun ruhig. „Es war ein kleiner Unfall. Eine Leitung, die Zyanid transportierte, ist geplatzt, Zyanid ist ausgetreten, in einen Graben geflossen, von da aus in einen Fluss. Es sind ein paar Fische gestorben. Dass hunderttausende Menschen an den Folgen des Unfalls litten, ist einfach übertrieben. Wir haben gewisse Maßnahmen getroffen, damit so etwas nicht wieder passiert.“ Mike Steyn ist Jurist. Er plädiert gelassen. Er scheint gewohnt, Zweifel des Gegenübers auszuräumen.

Sein Alter lässt sich nur schwer eingrenzen. Er muss es nennen: 38 Jahre. Es könnten zehn Jahre weniger sein oder zehn Jahre mehr. Er ist schmal, mittelgroß, hat schwarzes, grau durchsetztes Haar. Keine Falte im Gesicht und auf der Stirn.

Steyn ist Umsiedlungsexperte. Bis Ende letzten Jahres arbeitete er in Ghana für die südafrikanische Firma Gold Fields Ltd. Als Regionalmanager koordinierte er unter anderem die Umsiedlung mehrerer tausend Menschen, die der Goldmine in Tarkwa, Westghana, weichen mussten. Am 16. Oktober flossen bei Gold Fields einige tausend Kubikmeter zyanid- und schwermetallhaltige Abwässer aus. Fische, Vögel starben. Bewohner umliegender Dörfer mussten eine Zeit lang mit Trinkwasser versorgt werden. Zuvor und auch danach gab es Unfälle in benachbarten Goldminen. Einige Wochen nach dem Unfall verließ Mike Steyn Ghana. Wegen des Unfalls? „Nein“, sagt er, „siebeneinhalb Jahre dort waren einfach eine lange Zeit.“

Nun sitzt er in Alba Iulia, einer Großstadt im rumänischen Siebenbürgen, in einem nackten Büro des gerade eingeweihten Firmensitzes der „Rosia Montana Gold Corporation“. Zwei Jahre nach dem Zyanidunfall im nordrumänischen Baia Mare, einem der größten in der Geschichte des Goldbergbaus, will das Firmenkonsortium RMGC, bestehend aus dem kanadischen Mehrheitseigner Gabriel Resources und dem staatlichen rumänischen Bergbauunternehmen Minvest Deva, Europas größtes Goldbergwerk bauen: in dem Ort Rosia Montana, siebzig Kilometer nordwestlich von hier, oben in den Bergen. Das Bergwerk wird mit hochgiftigem Zyanid betrieben werden, so wie 95 Prozent aller Goldbergwerke auf der Welt.

Die Zahlen des auf knapp zwei Jahrzehnte angelegten Projektes sind beeindruckend: 400 Millionen Dollar will die Rosia Montana Gold Corporation investieren, um die 300 Tonnen Gold und die 1.600 Tonnen Silber aus der Erde Rosia Montanas zu extrahieren. Auf 21 Quadratkilometern sollen dafür insgesamt 225 Millionen Tonnen Erde und Gestein bewegt und mit jährlich 5.000 Tonnen Zyanid behandelt werden. Ein riesiger Stausee wird entstehen, 75 Meter hoch die Mauer, Fassungsvermögen 250 Millionen Kubikmeter zyanid- und schwermetallhaltiger Abwässer.

Rosia Montana und zwei weitere kleine Dörfer werden verschwinden – weil der Erdboden unter ihnen ein Gramm Gold pro Tonne enthält. Mike Steyn leitet für das Unternehmen die Umsiedlung von bis zu 3.000 Menschen. Ein besseres Angebot als Ghana? „Nicht besser“, sagt er lakonisch, „aber interessant.“

Um die 100 Häuser hat das kanadisch-rumänische Firmenkonsortium in Rosia Montana seit diesem Sommer aufgekauft und Schilder an die Mauern montiert: „EIGENTUM – RMGC“. Manche ehemalige Besitzer sind schon weggezogen. Die meisten Leute werden ihre Häuser verkaufen, weil „die Ausländer von der Gold Corporation“, wie sie im Ort heißen, fantastische Preise zahlen und weil sie Arbeitsplätze versprechen. Weil es eine andere Zukunft nicht gibt hier oben, wo die staatlichen Bergwerke dichtgemacht haben und wo 40 Prozent der Leute ohne Arbeit sind.

Eugen Cornea wird nicht umsiedeln. Er weiß, dass er nicht zur Mehrheit gehört. Aber er sagt das nicht. Aufgeregt ruft er: „Weggehen? Niemals! Um keinen Preis!“ Bei jedem Wort hackt er mit dem Zeigefinger auf den Tisch in der Küche seines Hauses ein. „Sie werden das Projekt nicht verwirklichen können, denn wir“, dieses Wort betont er scharf, „wir, die hier bleiben, werden das Hindernis sein!“

Er möchte siegesgewiss klingen. Statt dessen wirkt er ohnmächtig. Als ahnte er, dass er eines Tages diesen Ort verlassen muss. Weil die standhafte Einsamkeit nicht auszuhalten ist auf dem Boden, der von Sprengungen bebt, mit dem Blick auf die Geröllwüste statt auf Häuser, Bäume und Wiesen, hier, wo er geboren, aufgewachsen und zur Schule gegangen ist, zusammen in einer Klasse mit Maria war, die er später geheiratet hat, ein Stück weiter unten im Tal in der Kirche, daneben der Friedhof, auf dem seine Eltern und seine Großeltern begraben liegen. „Ihre Gebeine in der Giftlauge …“, sagt er und schweigt. Er möchte das nicht laut zu Ende denken.

Eugen Cornea ist 52 und hat fast 30 Jahre lang als Gelände- und Vermessungsingenieur für die staatliche Bergbaugesellschaft Minvest gearbeitet, im Nachbartal in der Kupfermine Rosia Poieni. Jetzt ist er Rentner, wie seine Frau, die so alt ist wie er und die den gleichen Beruf hatte. Sie sehen aus wie in den besten Jahren, trotz ihrer grauen Haare, kräftig, gesund, voller Elan.

Vier Millionen Lei Rente erhält jeder der beiden, 125 Euro, mehr als viele Gehälter im Land. Solange es noch nicht schneit, treibt Eugen Cornea jeden Morgen vier Kühe und elf Schafe auf die nahe gelegene Allmende, die einst die habsburgische Kaiserin Maria Teresia den hiesigen Bergarbeitern geschenkt hatte, die hier Gold von Hand wuschen. Auch Hühner und Gänse gibt es auf dem Hof des Ehepaares. Eugen und Maria Cornea sind nicht reich, aber sie kommen gut aus. Sogar ihre drei Töchter, die in umliegende Dörfer gezogen sind, können sie unterstüzen.

„Wenn ich weggehe“, fragt sich Cornea, „wo werde ich dann noch so leben können wie hier? Was werde ich haben? Einen engen Hof, ohne Tiere, ohne zwei Hektar Wiese, irgendwo unten in der Ebene?“ Von einem nahen Hügel dringt gleichmäßiger Motorenlärm. Ein Bohrturm der Gold Corporation, der Gesteinsproben zutage fördert.

Zusammen mit einigen Dutzend anderen aus dem Ort und aus dem Kreis Alba hat Cornea die Vereinigung „Alburnus Maior“ gegründet, die gegen das geplante Zyanidgoldbergwerk mobil macht. Im Ort werden die Alburnus-Mitglieder angefeindet. Leute, die sich seit der Kindheit kennen, grüßen sich nicht mehr, weil sich die einen auszahlen lassen und die anderen nicht. Die Alten sagen: Das Gold ist das Auge des Teufels.

In Rumänien sorgt die Vereinigung seit Monaten für Schlagzeilen. Dutzende einheimischer Organisationen und Greenpeace aus dem Ausland haben sich dem Protest angeschlossen. Viele fürchten eine Zyanidkatastrophe wie vor zwei Jahren in Baia Mare. Die Regierung steht unter Druck, so sehr, dass Beamte im Umweltministerium schlicht abstreiten, der Rosia Montana Gold Corporation eine Betriebsgenehmigung für ihr Projekt erteilt zu haben. Wo sie doch schwarz auf weiß im Firmenbüro aushängt.

Rosia Montana ist fast ein idyllischer Ort. Er liegt in einem engen Tal zwischen bewaldeten Hügeln und Bergwiesen. Einige Häuser im Ort stammen noch aus der k.u.k. Zeit. Die Idylle trügt. In der ganzen Gegend herrscht ökologischer Notstand. In vielen Nachbartälern hat die Bergbaugesellschaft Minvest riesige Abraumhalden aus Giftschlämmen aufgetürmt. Die Flüsse im ganzen Gebiet sind biologisch tot.

Gabriel Dumitrascu, der stellvertretende Direktor der Rosia Montana Gold Corporation, spricht von einem „Umweltdesaster“, das Minvest hinterlassen habe. Ja, die Gesellschaft sei zwar an der RMGC beteiligt, aber keine der alten Anlagen, nicht einmal eine einzige Schraube würde übernommen. Und keine, aber auch gar keine Investition werde seine Firma scheuen, um das Desaster zu beseitigen und das ökologische Gleichgewicht wieder herzustellen. Der Stausee bei Rosia Montana werde kaum Zyanid enthalten, weil das schon am Ausgang der Fabrik wieder neutralisiert werde, prophezeit er, und zum Beweis werde er selbst als Erster Wasser aus dem Stausee trinken.

Auch Mike Steyn ist sich sicher, „sehr sicher“, dass in Rosia Montana kein Zyanidunfall passieren wird. War er in Ghana auch sicher? „Da haben wir eine andere Technologie verwendet.“

80 Experten arbeiten in der Umsiedlungsabteilung, die er leitet. Juristen, Landvermesser, Architekten, Bauingenieure, Informatiker, Verhandlungsführer, die mit den Leuten aus Rosia Montana reden. Umsiedlung sei schließlich „eine sehr schwierige Erfahrung für die Betroffenen“, sagt Steyn.

Sein Team bietet den Umsiedlungswilligen aus dem Ort, dessen Vergangenheit umgepflügt werden soll, Gesprächsseminare in so genannten Fokusgruppen Umsiedlung an. Da können sich die Leute neue Fertighäuser in mehreren Varianten aussuchen. Das Design noch ein wenig ändern lassen. Oder sagen, sie wollen Bargeld. „Wir behandeln die Menschen mit Respekt und Anteilnahme“, sagt Steyn.

Die Bauern aus der Gegend haben eine Redewendung: Wenn der Wolf die Schafe hütet. Nein, Steyn findet, sein Unternehmen gehe sehr fair vor, besser als hier könne Umsiedlung gar nicht laufen. Er ist selbst an die zwanzig Male in seinem Leben umgezogen. In Sambia aufgewachsen, der Vater Engländer, die Mutter eine weiße Sambierin, er hat in Südafrika gelebt, in Portugal, wo er seine Frau kennen gelernt hat, dann Ghana, jetzt Rumänien für ein paar Jahre. „Ich weiß, was Umsiedlung heißt“, sagt er. „Ich habe den Schmerz der Leute oft selbst gesehen.“

Und was, wenn jemand immer an einem Ort war und einfach nicht weg will? Und wenn es nur einige wenige sind in Rosia Montana, Leute wie Eugen Cornea? Mike Steyn ist es gewohnt, Zweifel auszuräumen, nicht, welche zu äußern. „Projekte wie Straßen und Staudämme“, sagt er, „stehen für ein höheres Gutes und für das Gemeinwohl. Manchmal müssen Menschen eben umgesiedelt werden. Die Leute in Rosia Montana vertrauen uns, weil wir gute Preise zahlen und schöne neue Häuser bauen. Ich denke, sie werden alle umziehen.“