Das perfekte hohe C im Pelz

Individualität fördern und das Goldkehlchen trainieren: Eine Kreuzberger Gesangschule bildet die deutschen R&B-Superstars von morgen aus

Sängerinnen haben es nicht leicht im Leben. Denn die Öffentlichkeit zählt diesen Beruf nicht gerade zu den ernsthafteren. Ein Instrument erlernt haben – ja, das ist noch was. Aber singen? Können wir ja alle irgendwie – und Sängerin: Ist das überhaupt ein Beruf? Ist das nicht mehr, na ja, so was für sich selbst überschätzende Diven halt? Oder für Serienheldin Ally McBeal, die in ihrer Freizeit auf Karaoke und Gospel macht? Kein Wunder, dass die Promo-Abteilungen von den Schallplattenfirmen gar nicht mehr nachkommen, in ihren Infos zu erwähnen, dass ihre Goldkehlchen aber auch wirklich proper Gesangsunterricht hatten – und schon als Kind im Kirchenchor waren. Vor allem bei jungen Mädchen scheint sich diese Sicht auf die Dinge immer mehr einzuprägen. Denn seit R&B die Charts regiert, ist die Soulsängerin mit der perfekten Ausbildung zu einer Art Role Model geworden. Wie aber wird man so was? Ein Blick in die Kleinanzeigen der Stadtzeitungen enttäuscht. Nach Pelz, Glamour-Performance und perfektem hohem C klingt das, was da angeboten wird, nicht gerade. Eher nach Esoterikseminar. Da ist die Rede von der „Stimme als Spiegel der Seele“ und von diplomierten Pädagogen, die „intergrierten Atem-Körper-und Stimm-Unterricht“ anbieten. Oder vom „Singen in aufgeschlossenen Gruppen“, in denen man gemeinsam „tönen“ kann.

Aber vielleicht muss das ja nicht so sein. Von einer Freundin erfahre ich von der „Rock Pop Schule Berlin“, die gerade eine Masterclass einrichtet, und darüber hinaus Einzelunterricht in Gesang, Tanz und Schauspiel anbietet.

Die Rock Pop Schule Berlin liegt in einem Kreuzberger Hinterhof. Zwei sich schräg gegenüberliegende Wohnungen mit zahlreichen großen, hellen Räumen, viel Equipment, einer schicken Sitzecke samt Teeküche. Sogar eine Bühne gibt es. An der Wand das obligate Casting-Plakat: „RTL sucht den deutschen Superstar.“ Aber das scheint hier keiner zu beachten. Denn Katja Lehmann, die Leiterin der Gesangschule, will lieber Individualität und Talent fördern.

„Wir wollen zeigen, dass es auch andere Wege gibt, den Sängerberuf auszuüben. Man muss nicht zu einem Casting rennen und sich dort zu einer Marionette machen lassen.“ Deshalb hat sie mit ihren Kollegen ein hierzulande bislang einmaliges Unterrichtskonzept erarbeitet. Ein einjähriger Intensivkurs soll Schülern, die schon ein bisschen was draufhaben, auf alle Anforderungen des Sängerberufs vorbereiten. Katja Lehmann, die wie alle anderen Lehrer hier auch selbst noch als Musikerin aktiv ist: „Wir wollen ihnen die Chance geben, alles auf einmal zu bekommen. Sie sollen nicht nur die Stimme weiterentwickeln oder Klavier lernen, sondern auch fähig sein, selber Lieder zu komponieren – und sich auf der Bühne darzustellen. Dazu gibt es Kurse in Harmonielehre, Gehörbildung, aber auch in Schauspiel, Sprecherziehung und Tanz.“

Klingt schon mehr nach Glamour-Performance, Pelzen und dem perfekten hohen C. Zumal man versucht, die Schüler auch praktisch weiterzuvermitteln, an Studios, Produzenten usw. Und ihnen auch zeigt, wie man mit der Presse redet oder das mit den Gema-Rechten macht. Und das ist wirklich neuartig: die Ausbildung zum Selfmade Artist. Denn am Ende der Vollzeitausbildung steht nicht nur ein benotetes Zertifikat. „Die Schüler sollen danach richtig loslegen können“, sagt Katja Lehmann. Und man beginnt, diese Schüler, die die Qualen des autodidaktischen Do-it-yourself so schnell hinter sich lassen dürfen, ein bisschen zu beneiden.

„Aber wir wollen auch zeigen, dass es harte Arbeit ist“, ergänzt Katja Lehmann und steckt sich noch eine Zigarette an. Schließlich wolle man bei der nächsten Welle von Songwritern dabei sein. Auch ansonsten hat die Rock Pop Schule Berlin noch große Ziele. Man will staatlich werden. Auch um den Unterricht zu noch humaneren Preisen anbieten zu können. Und natürlich wegen der höheren Glaubwürdigkeit. „Jeder, der das Bedürfnis und die Fähigkeit, zu singen, hat, sollte das auch machen dürfen“, findet Katja Lehmann, „das muss der Staat gewährleisten.“ Bis Weihnachten werden noch Anmeldungen und Bewerbungen für die Masterclass 2003 entgegengenommen. Einige Schüler der zukünftigen Masterclass sind für die Ausbildung übrigens extra nach Berlin gezogen. Wir werden sicher noch von ihnen hören. KERSTIN GRETHER

Rockp Pop Schule, Boppstr. 3, Kreuzberg