Kinderlieder im Schwitzkasten

„Mir macht Wassertreten am meisten Spaß“ – Berlins erste Kneipp-Kita will mit Saunagängen, kalten Wickeln und viel frischer Luft Kinder vor Krankheiten bewahren und zu gesundheitsbewusstem Verhalten erziehen

„Ich war tapfer, Conny, nicht wahr?“ – „Auf jeden Fall“, bestätigt die Erzieherin

von BIANCA KOPSCH

90 Grad. Fünf schwitzende Kinder sitzen sich gegenüber. Heute ist Saunatag. Ein Teil der Gruppe der Vier- bis Fünfjährigen der Kindertagesstätte „Zwergenland“ in Karlshorst hockt in der Holzkammer. „Mir ist heiß! Wann dürfen wir denn wieder raus?“, fragt die vierjährige Theresa. Fünf Augenpaare richten sich erwartungsvoll auf die Erzieherin: „Gleich“, sagt Cornelia Scharé. „Jetzt singen wir erst noch mal etwas.“ Sie stimmt an: „Schneeflöckchen, Weißröckchen …“ Die Kinder singen laut mit – Schneeflocken-Gesang gegen die feuchte Hitze.

Nachdem sie noch mehrere Runden „Ich packe meinen Koffer …“ gespielt haben und die Erzieherin ihnen das Märchen von Hänsel und Gretel erzählt hat, dürfen sie schließlich raus – unter die kalte Dusche. Das Geschrei ist erst groß, doch dann lachen die meisten und plantschen ausgelassen in den Pfützen aus kaltem Wasser unter den Brausen. Nur Timo verzieht das Gesicht und will abhauen, als Cornelia Scharé versucht, ihn abzuspritzen. Der magere Körper des Vierjährigen zittert. Hinterher ist er aber stolz: „Ich war tapfer, Conny, nicht wahr?“ „Auf jeden Fall“, bestätigt sie.

Cornelia Scharé erklärt den Kindern, warum in die Sauna gehen gesund ist: „Erst schwitzen und danach kalt duschen stärkt die Abwehrkräfte, und wir werden nicht so schnell krank. Es härtet uns ab.“ Und darum geht es in der Kita Zwergenland: ums Abhärten und Krankheiten-Vorbeugen. Das Zwergenland ist Berlins erste „Kneipp-Kita“. Hier arbeiten die Erzieher nach der Lehre des durch seine Naturheilverfahren bekannt gewordenen Pfarrers Sebastian Kneipp. Das „Fünf-Säulen-Modell“ hat er gepredigt: Wasseranwendungen, vollwertige Ernährung, ausreichend Bewegung, den Einsatz von Heilpflanzen und eine ausgewogene, möglichst natürliche Lebensgestaltung mit genügend Ruhe und Entspannung – als Konzept zur Gesundheitsförderung und Vorbeugung von Krankheiten. Ein ganzheitlicher Naturheilansatz, ohne Medikamente, dafür mit viel kaltem Wasser. „Das heißt nicht supermodern, sondern mit einfachen Mitteln, die fast nichts kosten, Menschen zu helfen. Sebastian Kneipp selbst hat seine Patienten mit der Gießkanne abgeschüttet. So ähnlich machen wir das auch“, sagt Iris Aethner, die Leiterin des Zwergenlands.

Nach dem Mittagessen – Vollkornreis-Gemüse-Pfanne mit Salat – ist es für die Zwei- bis Dreijährigen dann so weit: Es geht zum Wassertreten. In Unterhemd und Windel watschelt der zweijährige Alexander in den Waschraum. Zielstrebig steigt er in die gelbe Wanne mit kaltem Wasser. Mit den Händen umgreift er eine Haltestange, mit den babyspeckigen Beinen stapft er kräftig auf und ab. „Eins, zwei, drei …“, zählt Erzieherin Ines Jäger. Zehnmal soll Alexander im „Storchengang“ durchs Wasser waten und dabei darauf achten, die Knie hoch zu ziehen. Danach streift sie seine Beine kurz mit den Händen ab, der Rest soll an der Luft trocknen. „So bildet sich ein kühlender Wasserfilm auf der Haut. Das ist noch mal besonders gut für die Durchblutung“, erklärt Ines Jäger. Die kalten Gesichtsgüsse zum Entschleimen der Nase und zur allgemeinen „Abhärtung der Schleimhäute“, wie Jäger sagt, haben die Kleinen schon nach dem Frühstück hinter sich gebracht.

Auf Balkon und Terrasse stehen Klappliegen und Gitterbetten aus Holz. Babys und Kleinkinder, verpackt in Jacken, Mützen und Schals liegen unter mehreren Decken und schlafen. Ein kalter Wintertag. Doch der „Freiluftschlaf“ gehört schon lange zum festen Programm im Zwergenland. Auch das Tau- oder Schneetreten – viel draußen spielen sowieso.

„Vor allem Kindern, die häufig an Erkältungskrankheiten leiden, tut die frische Luft sehr gut“, erklärt Iris Aethner. Seit über 15 Jahren arbeitet die 50-Jährige in der Kita nach kneippschen Grundsätzen. Zu DDR-Zeiten sprach man allerdings statt von der Methode des „Westpfarrers“ – so Aethner – eher von „Abhärtungsmaßnahmen“. Damals spezialisierte sich Aethner auf die „Betreuung infektanfälliger Kinder“. Husten, Schnupfen, Bronchitis: Atemwegserkrankungen gehören zu den häufigsten Krankheiten im Kindesalter, erklärt sie. Die Anwendung der kneippschen Methode sei für solche Kinder sehr hilfreich.

Seit 1997 wird das „Zwergenland“ vom Evangelischen Jugend- und Fürsorgewerk betrieben. Die Beiträge sind jedoch nicht höher als bei staatlichen Kindertagesstätten. „Ein Platz bei uns ist wie ein Lottogewinn“, sagt Aethner, sie werde mit Anfragen bestürmt. 100 Kinder hat sie in ihrer Obhut im Alter von acht Wochen bis sieben Jahren. Letzte Woche bekam die Kita nun für ihre Arbeit ein offizielles Zertifikat vom Kneipp-Bund. Seitdem darf sich das Zwergenland „Kneipp-Kita“ nennen. „Unser Haus ist immer voll, denn die Kinder werden kaum krank!“, sagt Aethner.

„Vorbeugen ist besser als heilen“ – des Pfarrers Prinzip scheint zu wirken. Auch im brandenburgischen Buckow. Dort gibt es bereits seit Mai eine offizielle Kneipp-Kita. Die Auswertung der Krankenzahlen nach einem Jahr Kneipp ist dort eindeutig: Es gibt viel weniger krank gemeldete Kinder als im Vorjahr. Bei den Kleinsten bis zu drei Jahren ist die Krankenzahl sogar um über die Hälfte zurückgegangen, berichtet Kerstin Lewerenz, Erzieherin in Buckow.

„Kneipp-Kitas bedeuten nicht einfach Geplantsche im kalten Wasser, sondern sind ein Politikum“, erklärt Iris Aethner „Die Kinder sind weniger krank, brauchen weniger Medikamente, und die Eltern haben weniger Ausfalltage bei der Arbeit. Auf diese Weise werden Gesundheits- und Sozialsystem entlastet. Und das, ohne vorher kostspielig in irgendeine Ausstattung investieren zu müssen.“ Ihr Ziel sei es, die Kinder zu gesundheitsbewusstem Verhalten zu erziehen, das sie später an ihre eigenen Familien weitergeben können.

Die Mittagsruhe ist vorbei: kalte Armgüsse zum Wachwerden! Die Kinder gehen tatsächlich auch ungefragt zu den niedrigen Waschbecken und halten ihre Arme unter den Wasserstrahl. Sie sind das gewöhnt, kommentiert Erzieherin Ines Jäger.

„Das kalte Wasser macht mir nichts. Das ist doch lustig! Wassertreten macht mir besonders Spaß“, sagt der vierjährige Steve und grinst. „Ich mag am liebsten Verkleiden“, entgegnet die fünfjährige Freya. Und auch dafür bleibt Zeit: Neben dem Kneippen haben die Kinder noch einige Stunden zum Spielen wie in anderen Kitas auch.

Am Nachmittag gibt es aufgeschnittene Orangen und Kiwis, dann dürfen die Kinder nach Hause. Ausspannen bis zum nächsten Kneipp-Kita-Tag.