Rücktritt wegen jahrelanger Vertuschung

Weil er Kindesmissbrauch durch katholische Priester in den USA gedeckt hat, gibt Kardinal Bernard Law sein Amt ab

Bis der Skandal über die Vorwürfe von Kindesmissbrauch durch katholische Priester in der US-Kirche Anfang des Jahres begann, zählte Kardinal Bernard Law zu den mächtigsten und respektiertesten Würdenträgern des Landes. Als Erzbischof von Boston führte er die drittgrößte römisch-katholische Diözese in den USA. Zudem galt der dienstälteste US-amerikanische Oberhirte, 1984 zum Bischof geweiht, als enger Vertrauter von Papst Johannes Paul II.

Law war ein geachteter Mann innerhalb der Kirche, aber auch in der US-Gesellschaft insgesamt. Sobald der gebürtige Mexikaner 1961 zum Priester geweiht war, engagierte er sich in seiner ersten Gemeinde im Bundesstaat Mississippi für die Bürgerrechte der Schwarzen. Er machte Armut in den USA zum Thema, kämpfte gegen Antisemitismus und war ein begnadeter Spendensammler für soziale Projekte.

Law bemühte sich, die Beziehungen zwischen der katholischen und anderen christlichen Kirchen zu verbessern. Zugleich vertrat er tief konservative Positionen, wenn es um Abtreibung, Aids oder Homosexualität ging. Er verbannte Befürworter der Priesterinnenweihe aus seinen Kirchenräumen und rief 1984 dazu auf, den damaligen Präsidentschaftskandidaten der Demokraten, Walter Mondale, nicht zu wählen, da dieser Abtreibung befürwortete.

Als im Januar die Zeitung Boston Globe erstmals öffentlich schwere Vorwürfe gegen einen Priester in Kardinal Bernard Laws Diözese erhob, begann sein Stern rapide zu sinken. Einem Priester wurde vorgeworfen, innerhalb von 20 Jahren über hundert Jugendliche sexuell belästigt zu haben. Law sprach daraufhin öffentlich von einer „Schande“. Er rief eine „Null-Toleranz-Politik“ gegenüber Kinderschändern aus und richtete eine Kommission ein, die über das Problem beraten sollte. Im Februar wurde der betroffene Priester von einem Gericht wegen Kindesmissbrauchs zu zehn Jahren Haft verurteilt.

Nur: Die plötzliche Radikalität war ein Sinneswandel, der eher dem öffentlichen Druck als eigener Einsicht geschuldet war, wie sich herausstellte: Jahrelang nämlich hatte Bernard Law von den Verbrechen des Verurteilten gewusst. Anstatt die Übeltäter aus den eigenen Reihen zu entfernen, wurde verheimlicht, gezahlt und versetzt. Seine Diözese überwies Millionen an Schweigegeldern an die mutmaßlichen Opfer, so viel, dass sie nun vor dem Bankrott steht. Priester wurden lediglich von einer Gemeinde zur anderen abgeschoben. Die Polizei wurde nicht eingeschaltet.

Als der öffentliche Druck im Frühjahr zunahm, sah sich Law gezwungen, den Justizbehörden eine Liste mit den Namen von mehr als achtzig Geistlichen zu übergeben, denen sexueller Missbrauch vorgeworfen wird. Doch die Vertrauenskrise war so tief, dass der Ruf nach persönlichen Konsequenzen immer lauter wurde. 58 Priester aus dem ganzen Land forderten den Rücktritt ihres Oberhirten, der den Missbrauch jahrelang gedeckt hatte – ein unerhörtes Vorgehen in der katholischen Kirche, schwören doch die Kleriker nach Kirchenrecht Gehorsam. Wochenlang demonstrierten enttäuschte Gemeindemitglieder vor seiner Kathedrale. Nun ist er ihrem Ruf gefolgt. „Ich bin sehr dankbar, dass der Heilige Vater meinen Rücktritt als Erzbischof angenommen hat“, sagte Law gestern. MICHAEL STRECK