„Genick gebrochen“

„Massaker in Afghanistan – Haben die Amerikaner zugesehen?“ Für den Filmemacher Jamie Doran steht die Antwort fest (18.55 Uhr, ARD)

Interview ANTJE BAUER

taz: Herr Doran, in Ihrem Film treten Zeugen auf, die versichern, dass US-Soldaten bei den Misshandlungen der gefangenen Taliban zugesehen haben. Gibt es irgendwo einen Hinweis, dass die US-Soldaten daran aktiv beteiligt waren?

Jamie Doran: Ich habe weder Beweise dafür, dass amerikanische Soldaten selber Gefangene in Dascht-i Leili erschossen hätten, noch dass sie direkt den Befehl dazu erteilt hätten. Aber wir haben sehr wohl den Beweis dafür, dass die amerikanischen Soldaten das Gefängnis von Schiberghan kontrollierten und die Befehlsgewalt darüber hatten. Und einer unserer Zeugen, ein hoher Offizier in Dostums Armee, sagt ganz klar, einer der amerikanischen Offiziere habe befohlen, dass die Lkw mit den Containern Schiberghan verlassen, bevor Satellitenfotos davon gemacht werden.

Wer hatte die Befehlsgewalt in dieser Situation?

Das ist schwer zu sagen. Aber eins muss man verstehen: Wenn damals hundert Afghanen die Straße entlanggekommen wären und ich als ein westlicher Journalist „Halt!“ gerufen hätte, dann wären sie alle sofort stehen geblieben. Westler hatten für sie eine Position der Überlegenheit. Das heißt, ich bin der festen Ansicht, dass die Amerikaner das hätten stoppen können.

Das heißt, die Initiative ging vielleicht von rachsüchtigen Mitgliedern der Nordallianz aus, und die Amerikaner taten nichts dagegen?

Natürlich lag Rache in der Luft. Aber gleichzeitig hätten alle diese Gefangenen niemals in Schiberghan Platz gefunden. Also muss man sich fragen, ob das nicht bereits geplant wurde, als sie sich alle in Kundus ergaben. Ob sich die Leute nicht damals schon gefragt haben: Wenn wir nur 3.000 in Schiberghan unterbringen können, was machen wir dann mit den restlichen 4.000? Und wir wissen jetzt, was sie getan haben.

Haben Sie versucht, mit den US-Soldaten zu sprechen, die dabei waren?

Vor Ort kam man an die amerikanischen Soldaten nicht heran. Und als ich zurückkam und das Ausmaß der Geschichte deutlich wurde, habe ich mich offen an das Pentagon gewandt, ihnen Namen einzelner Soldaten genannt und darum gebeten, mit ihnen oder ihren Vorgesetzten reden zu dürfen, aber leider wurde das verweigert.

US-Politiker leugnen in Ihrem Film, dass so etwas geschehen ist. Seit der Film beendet wurde, sind aber mehr als sechs Monate vergangen. Hat sich in dieser Hinsicht in der Zwischenzeit etwas getan?

Sechs Wochen lang habe ich das Pentagon fast täglich angerufen mit der Bitte, mit irgendjemandem ein Interview dazu machen zu können. Aber sie haben es abgelehnt.

Wie sind Sie auf diese Geschichte gestoßen?

Ende November letzten Jahres habe ich mich zuerst mit Dostums Soldaten getroffen und ein paar Stunden später mit den Soldaten von Fahim (heute Verteidigungsminister, d.Red.). Diese Soldaten würden sich lieber gegenseitig umbringen als miteinander zu essen. Dostums Leute erzählten mir als Erste, dass Amerikaner Gefangenen das Genick gebrochen hätten. Das fand ich natürlich interessant. Kurz danach habe ich mit Fahims Leuten gesprochen und dieselbe Geschichte noch mal gehört. Und da dachte ich, da müsste man mal recherchieren.

Unter welchen Bedingungen haben Sie gearbeitet?

Zu Beginn unserer Recherche konnten wir uns recht frei bewegen. Wir hatten ja keine Ahnung, worum es hier ging. Wir recherchierten zunächst nur, ob amerikanische Soldaten Taliban-Gefangene misshandelt hatten. Und erst mit der Zeit tauchte die andere Geschichte auf. Niemand hatte zuvor von Kalai Zeini gehört, dieser riesigen Festung auf dem Weg nach Schiberghan, wo die Gefangenen festgehalten wurden. Wir sind dorthin gefahren und haben das Glück gehabt, dort den Kommandanten zu treffen, der für Kalai Zeini zuständig war. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir nur Gerüchte gehört, dass Gefangene in Containern transportiert worden waren. Aber als Rahmatullah sagte: „Es ist besser, nicht über Container zu reden“, da wurde mir klar, dass hier irgendetwas furchtbar faul war. Und je mehr wir in diese Sache hineingerieten, desto gefährlicher wurde sie. Auf der letzten Reise, jetzt im Oktober, wurden wir von Dostums Leuten bedroht. Da wurde unser afghanischer Journalist verdroschen, wir wurden bedroht, sie beschlagnahmten unsere Ausrüstung, es wurden Haftbefehle gegen mich und gegen Nadjibullah ausgestellt.

Was beabsichtigen Sie mit diesem Film?

Ich bin fest entschlossen, diese Sache so lange weiter zu verfolgen, bis die Angehörigen der US-Sondertruppen vor Gericht gestellt werden – vor ein amerikanisches Militärgericht oder ein internationales Gericht. Sie müssen für das, was in Afghanistan geschehen ist, geradestehen. Das Pentagon hat vielleicht die Hoffnung, dass die Geschichte in Vergessenheit gerät, aber das wird nicht so sein.