Bankgeheimnis als Menschenrecht

Die Schweiz verteidigt die Diskretion ihrer Banker gegenüber der EU mit Klauen und Zähnen – immerhin steht ihre weltweite Spitzenposition als Vermögensverwalter auf dem Spiel. Finanzfirmen sind der wichtigste Wirtschaftszweig im Lande

aus Bern ANITA MERKT

Eine Einigung der EU-Finanzminister auf eine grenzüberschreitende Zinsbesteuerung ist diesen Monat erneut gescheitert. Nicht zuletzt am Widerstand der Schweiz. Die Alpenrepublik gehört zwar nicht zur EU. Doch sie ist neben den USA der wichtigste von sechs Drittstaaten, die in Sachen Informationsaustausch über ausländische Vermögen mit der Union zusammenarbeiten sollen. Solange die Schweiz sich weigert mitzumachen, wollen auch Luxemburg, Belgien und Österreich die Finanzämter der Heimatstaaten ihrer Bankkunden nicht über deren Vermögenserträge informieren.

Die Unnachgiebigkeit, mit der die Schweiz ihr Bankgeheimnis verteidigt, lässt vermuten, dass die Alpenrepublik viel zu verlieren hat. Insbesondere für die Banken steht offenbar viel auf dem Spiel. Der Chef der Großbank UBS, Marcel Ospel, laut der Neuen Zürcher Zeitung der „mächtigste Bankier der Schweiz“, sah sich im Zuge der Verhandlungen mit der EU mehrfach genötigt, öffentlich das Bankgeheimnis zu verteidigen. Dabei betont Ospel bevorzugt die Bedeutung des Bankgeheimnisses für die Schweiz als solche: Die Banken trügen 14 Prozent zur Bruttowertschöpfung bei, sicherten 6 Prozent der Arbeitsplätze und entrichteten 15 Prozent der Steuern, dozierte Ospel.

Die Schweizerische Bankiervereinigung kommt zwar auf etwas andere Zahlen. Demnach erwirtschaftet die Finanzbranche lediglich 12 Prozent der Wertschöpfung und beschäftigt 3 bis 4 Prozent der Erwerbstätigen. Mit einer Wertschöpfung von 45 Milliarden Franken jährlich ist die Finanzbranche jedoch unbestritten der wichtigste Wirtschaftssektor. Die Chemiebranche kommt nach Angaben des Bundesamtes für Statistik mit 20 Milliarden Franken Wertschöpfung nicht einmal auf die Hälfte.

Wie der oberste Schweizer Banker ganz offensiv erklärt, erzielen die Schweizer Finanzinstitute „den Großteil ihrer Wertschöpfung“ aus „grenzüberschreitenden Geschäften“. Nach Angaben der Schweizerischen Nationalbank verwalten die „inländischen Bankstellen Kundendepots mit einem Gesamtwert von 3.400 Milliarden Franken“. 55,9 Prozent dieses Vermögens stamme von ausländischen Kunden. Bei der grenzüberschreitenden Vermögensverwaltung nimmt die Schweiz mit einem Weltmarktanteil von 27 Prozent vor Luxemburg und der Karibik den Spitzenplatz ein. Nach einer Umfrage der Stiftung „Genève Place Financière“ befürchten 90 Prozent der Genfer Banken „einen Geldabfluss in der Größenordnung von 15 bis 20 Prozent, wenn das Bankkundengeheimnis auf Druck der EU aufgeweicht werden sollte“.

Ähnliche Katastropheszenarien malen Schweizer Bankiers, wenn es um die von der EU geforderte Rechtshilfe bei Steuerhinterziehung geht. Amtshilfe will die Schweiz nur leisten, wenn der ausländische Bürger sich auch nach Schweizer Recht des „Steuerbetrugs“ schuldig machen würde, nicht aber bei bloßer Steuerhinterziehung. Den feinen Unterschied kennt nur die Schweiz. „Steuerbetrug liegt nur vor, wenn Bilanzen oder Urkunden gefälscht werden“, erklärt der Sprecher des Eidgenössischen Finanzdepartements, Daniel Eckmann. „Eine Steuererklärung ist keine Urkunde.“ Die Vereinigung Schweizerischer Privatbankiers warnte unlängst: Wenn die Unterscheidung zwischen Steuerbetrug und Steuerhinterziehung wegfalle, gingen zwischen 25 und 30 Prozent ihrer Einnahmen verloren.

Dass die Schweizer Politiker in Brüssel von der Bankenlobby ein klares Mandat erhalten haben, ist offensichtlich. Ospel spricht vom „Auftrag der Schweizer Unterhändler, integral am Schweizer Bankkundengeheimnis festzuhalten“. Doch auch der Schweizer Stimmbürger muss zur Verteidigung des Bankgeheimnisses herhalten. Bundespräsident Kaspar Villiger erklärte, eine „Preisgabe des Bankgeheimnisses“ sei „innenpolitisch chancenlos“. Tatsächlich ist es so, dass viele Schweizer das Bankgeheimnis mit dem Schutz der Privatsphäre gleichsetzen und es so leidenschaftlich verteidigen, als handle es sich um ihr Matterhorn.

Noch 1984 lehnten 73 Prozent der Schweizer eine sozialdemokratische Initiative „gegen den Missbrauch des Bankgeheimnisses und der Bankenmacht“ ab. Einer aktuellen Umfrage von Isopublic zufolge wären jedoch 53 Prozent für die Aufhebung des Bankgeheimnisses, wenn es um Steuerhinterziehung durch Personen geht, die im Ausland wohnen. Und fast 80 Prozent halten nach einer Umfrage der Wirtschaftszeitung Cash in diesem Fall auch eine Zusammenarbeit ihrer Behörden mit dem Ausland für wünschenswert.