Ein Hochamt feiert sich selbst

Und wir feiern mit: „Es ist 20 Uhr … – Die Tagesschau“ wird 50 (26. 12., 22.00 Uhr, ARD)

Die „Tagesschau“ hat keine Geschichte. Wer in den vergangenen Wochen vor dem fünfzigjährigen Jubiläum in Hamburg bei ARD-aktuell recherchieren wollte, wann welche Neuerung eingeführt wurde, dem zeigte Chefredakteur Bernhard Wabnitz in einer komisch-verzweifelten Geste zwei uralte Broschüren: Das sei alles, was man im Archiv zur „Tagesschau“ gefunden habe.

Die „Tagesschau“ hat viele Geschichten. Meist haben Außenstehende versucht, sie zu schreiben, zuletzt Alexander Osang in seinem Roman „Die Nachrichten“. Vor fast 30 Jahren haben Heinrich Breloer und Horst Königstein der „Tagesschau“ einen der ersten Filme gewidmet: „Weitere Nachrichten“ lief 1973 als Lehrfilm im Schulfernsehen des Westdeutschen Fernsehens und im Telekolleg des Bayerischen Rundfunks.

Nicht einmal das Geburtsdatum der Sendung steht eindeutig fest. 1996, vor gerade einmal sechs Jahren, feierte die „Tagesschau“ ihren 40. Geburtstag mit einem Jubiläumsfilm, in dem Rita Knobel-Ulrich die Redaktion in den Vordergrund stellte, diejenigen also, die die Sendung machen, aber nie auf dem Bildschirm erscheinen – und eine Kaffeemaschine, die im wirklichen Redaktionsleben allerdings keine tragende Rolle spielte. Tatsächlich sendet die „Tagesschau“ erst seit dem 1. Oktober 1956 wirklich – wie ihr Name sagt – täglich (nur der Sonntag war damals noch heilig und „Tagesschau“-los), zuvor gab es nur dreimal in der Woche eine Nachrichtensendung, in der sich die Redakteure von dem Abfall bedienten, den die Kollegen von der „Wochenschau“ für das Kino übrig gelassen hatten.

Sandra Maischberger, die nur sechs Jahre später gemeinsam mit Armin Toerkell den Film zum fünfzigjährigen Jubiläum produzierte, konzentrierte sich auf die Frühgeschichte, die bislang nie dargestellt wurde, weil es aus dieser Zeit kaum Aufzeichnungen gab. Die Sendung wurde damals noch nicht mitgeschnitten – und bei der Arbeit filmten sich die Redakteure ohnehin nicht. Viele Szenen sind daher nachgestellt, als Drehbuch für das Dokudrama fungierten die schriftlichen Erinnerungen des ersten „Tagesschau“-Chefs Martin S. Svoboda und des „ersten Redakteurs“, Horst Jaedicke, der von 1952 bis 1954 zu den Pionieren der Nachrichtenmacher gehörte. Jaedicke ist der Zeitzeuge, der durch den Film führt. Das funktioniert für die 50er-Jahre sehr gut, weil er genug Selbstironie besitzt, sich selbst als „Horsti“ vorzustellen, und weil Svobodas amüsante Erinnerungen viel hergaben für Spielszenen aus einer Zeit, in der das Fernsehen noch ein seltsames neues Medium war, das keiner ernst nahm. Schöne Geschichten aus der Geschichte des Fernsehens sind dabei herausgekommen – Erinnerungen von Fernsehzuschauern der ersten Stunde inklusive.

Es gelingt Maischberger, Toerkell und Jaedicke allerdings nicht, die Brücke zur Gegenwart zu schlagen: Die Nachrichtenfabrik von heute hat Kameramann Jan Kerhart beeindruckend ins Bild gesetzt, doch die Macher sind dem Faszinosum des gut geölten Räderwerks ARD-aktuell erlegen. Die Sendung entsteht in einer „Blackbox“. Zu sehen sind viele Kapitäne, die Kommandos geben, zahlreiche Knöpfe, die gedrückt werden – aber warum am Ende 15 Minuten Nachrichten dabei herauskommen, bleibt ein Rätsel. Auch Jaedicke, der Sandra Maischberger durch die Redaktion von heute führt, hilft da nicht weiter. Zu fremd ist ihm der „moderne Nachrichtenbetrieb, in dem 24 Stunden am Tag gearbeitet wird“. Maischberger selbst scheint in der Verehrung für das „Hochamt“, wie sie selbst die „Tagesschau“ mehrfach nennt, so befangen zu sein, dass sie ganz vergisst, kritische Fragen zu stellen. Am Ende des Films geht in der Redaktion das Licht aus. Mit der Wirklichkeit der Nachrichtenfabrik ARD-aktuell hat das Bild nichts zu tun: Seit zwei Jahren gehen hier die Lichter auch nachts nicht mehr aus.

DIEMUT ROETHER