Geschenk für Finnlands Natur

Samen und Rentiere können sich freuen: Nach jahrzehntelangem Kampf der Umweltbewegung gegen Regierung und Stromkonzerne stoppt das höchste finnische Gericht das umstrittene Megastaudammprojekt im Norden endgültig

aus Helsinki REINHARD WOLFF

Das Urteil des höchsten finnischen Verwaltungsgerichtshofs ist „das schönste Weihnachtsgeschenk für Lappland“. Das sagt Tapani Veistola vom finnischen Naturschutzverband: „Es beweist, dass es sich lohnt, mit gesetzlichen Mitteln zu kämpfen.“ Das größte finnische Staudammprojekt aller Zeiten, der Vuotos-Damm, ist aus der Welt. Die Richter haben sich für die Erhaltung von 300 Quadratkilometern Wald-, Sumpf- und Moorlandschaft und gegen energiepolitische und arbeitsmarktpolitische Argumente entschieden.

Seit den Fünfzigerjahren wird über das Vuotos-Staubecken diskutiert, das den Oberlauf des Kemijoki aufstauen sollte. Dabei ist der Fluss, wie andere Wasserläufe in Nordfinnland, bereits in den 50er- und 60er-Jahren durch Staudämme und Regulierungsbecken weitgehend zerstört worden. Auf den Schutz der Natur und die Interessen der Sami-Bevölkerung und ihre Rentierzucht nahm man damals keinerlei Rücksicht.

300 Quadratkilometer, etwa ein Drittel der Fläche Berlins, sollten für den Staudamm im Wasser versinken. 300 Millionen Euro waren für das Projekt veranschlagt. Dafür sollten Arbeitsplätze entstehen und die Energieversorgung gesichert werden. Doch bei der letzten Etappe der Naturzerstörung gab es Widerstand. Was für die meisten Regierungen in Helsinki und die Stromwirtschaft „wertloses Sumpfgebiet“ war, ist eines der letzten unberührten Feuchtgebiete in Lappland mit seltener Flora und Fauna – und ein wichtiges Brutgebiet für vom Aussterben bedrohte Vogelarten. 1974 hatte die Regierung den Staudammbau grundsätzlich abgesegnet. Die Arbeiten wurden aber immer wieder unterbrochen, sei es, weil es doch keinen Bedarf für mehr Strom gab, sei es, weil die Naturschutzbewegung durch Blockadeaktionen oder gerichtliche Beschlüsse Teile der Ausbaupläne stoppen konnte. 1992 wurde ein neuer Staudammplan genehmigt. Damit begann ein Kleinkrieg, in dessen Verlauf verschiedene Verwaltungsinstanzen und Gerichte Teile des Ausbaus jeweils stoppten oder genehmigten.

Die jetzige Entscheidung schafft Klarheit. Aber so positiv wie die Naturschützer wollen Gewerkschaften und die Gemeindevertretungen der betroffenen Kommunen sie nicht sehen. Denn die Arbeitslosigkeit in dem nahe der russischen Grenze gelegenen Gebiet beträgt 30 Prozent. Und Industrieministerin Sinikka Mönkäre erklärte: „Der Staudamm wäre für die Produktion erneuerbarer Energie wichtig gewesen.“ Markku Autti, Chef des Energiekonzerns Kemijoki OY, wirft Gericht wie Umweltbewegung vor, der Umwelt sogar zu schaden: „Man stoppt eine Energieproduktion, die sich auf erneuerbare Quellen stützt.“

Tapani Veistola wehrt sich gegen dieses Bild der angeblich so umweltfreundlichen Wasser- kraftproduktion und verweist auf die Begründung des Gerichts: Für kurzfristige Energieinteressen dürfe man keine Umweltzerstörungen in Kauf nehmen, „die umfassend, tiefgreifend und vor allem irreversibel“ sind.

Finnlands Naturschutzbewegung hatte in der Endphase des Vuotos-Kampfes wichtige Hilfe aus Brüssel erhalten. Die Regierung in Helsinki hatte das Gebiet trotz seiner unbestreitbaren Naturwerte nicht in das Naturschutzprogramm Natura 2000 aufgenommen – nach Einschätzung der EU-Kommission allein mit dem Hintergedanken, einen Wasserkraftausbau nicht unmöglich zu machen. Deshalb forderte Brüssel die finnische Regierung auf, die Schutzklassifizierung des als „international bedeutsam“ eingestuften Naturgebiets umgehend nachzuholen.