Arbeitslosenvermittlung in der Prignitz: Ein Betreuer für 150 Kunden
Die Vermittlung Langzeitarbeitsloser muss professioneller werden, fordert die Bundesagentur für Arbeit. Wie's geht, zeigt ein Jobcenter in der Prignitz.
PERLEBERG taz | In den Jobcentern sollen mehr und besser ausgebildete Mitarbeiter helfen, besonders Langzeitarbeitslose zu vermitteln. „Die Langzeitarbeitslosigkeit ist neben dem Fachkräftemangel die große Herausforderung auf dem Arbeitsmarkt. Und da müssen wir professioneller dran gehen: Wir hatten in der Vergangenheit unzureichend qualifizierte und auch zu wenig Mitarbeiter eingesetzt“, sagte Heinrich Alt, Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit, der taz.
So müsse es bei dem gesetzlich vorgegebenen Betreuungsschlüssel, wonach ein Mitarbeiter 150 Arbeitslose betreuen soll, eine „eindeutigere Abgrenzung“ geben. Bisher werden alle Mitarbeiter eines Jobcenters, vom Vorstand bis zum Empfangstresen, dazu gezählt. Nach Alts Vorstellung soll es nun um „Betreuer pro Kunden“ gehen.
Der Vorstoß der Bundesagentur hat es in sich. Denn in vielen Jobcentern betreuen die Vermittler nicht 150, sondern oft mehr als 300 Arbeitslose. Ausführliche Gespräche mit Menschen, die seit Jahren mit vielen Problemen kämpfen, sind dabei nicht drin, man sieht sich selten, und dann nur kurz.
Dabei ist eine bessere Betreuung erfolgreich, wie Studien zeigen – und ein laufendes Projekt in der Prignitz. Dort sucht der 34-jährige gelernte Maurer Manolito E. Arbeit. Der alleinerziehende Vater ist nicht der Typ, der schnell aufgibt. Er hat in den vergangenen zehn Jahren in zwölf verschiedenen Firmen gearbeitet. „Was so ging“, sagt er. Manchmal stockte er mit Hartz IV auf. Jetzt hat er plötzlich eine Perspektive – dank des Jobcenters, das ungewöhnliche Wege geht.
„Im April kann ich eine Fahrausbildung als LKW-Fahrer machen. Das wäre mein Traum“, sagt Manolito E. Noch besser wäre die Bundeswehr, mit der hat er in Kürze ein Gespräch. Im Jobcenter Perleberg, einer Kleinstadt 160 Kilometer von Berlin, will er heute seine Bewerbungen besprechen. Er ist jetzt öfter als früher hier.
Die Erfindung der „Prio“
Seine vielen Besuche haben einen Grund: „Prio“, die Prignitzer Integrationsoffensive dieses Jobcenters. Prio gibt Hoffnung in einer Region, die wenig Grund dafür bietet. Es gibt kaum Jobs, die Arbeitslosigkeit liegt bei 13 Prozent, allein in Wittenberge und Perleberg suchten Ende vergangenen Jahres 7.572 arbeitslose Hartz-IV-Bezieher eine Stelle. Im Jobcenter kämpften 2011 die 160 Mitarbeiter gegen Überlastung; Vermittler betreuten häufig über 400 Arbeitslose. Dann erfand Geschäftsführer Thomas Puth „Prio“.
Puth hatte 2011 genug davon, dass sein Jobcenter im Vergleich zu anderen so schlecht dastand. Es empörte ihn, dass vor allem Menschen, die durchaus eine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben müssten, keine bekamen. Also organisierte er das Jobcenter um, stellte befristet zwölf zusätzliche Vermittler ein, trainierte einen neuen Kommunikationsstil. Seitdem betreut ein Vermittler nur noch 100, manchmal 150 Arbeitslose. Die Vermittler haben jetzt Zeit für Menschen wie Manolito E., reden über Wünsche und Probleme. „Reden ist unser wichtigstes Konzept, reden, reden, reden“, sagt Puth.
Einer der Vermittler ist Sven Lange. „Das Verhältnis zum Kunden ändert sich, wenn man nur 100 betreut. Man hat mehr Zeit, lernt auch die Familie und Freunde besser kennen“, sagt er. So erfahre man oft, was diese dem Menschen empfehlen. Die Arbeitslosen wiederum erzählten mehr, welche Probleme sie bedrückten, berichtet eine andere Vermittlerin. Beim Reden stehen die Wünsche und Stärken des Arbeitslosen im Mittelpunkt. „Viele wissen am Anfang nichts mit der Frage nach ihren Stärken anzufangen, nach Jahren der Frustration. Sie da herauszulösen ist ein langer Weg“, sagt Lange.
Plan übererfüllt
Lang, aber erfolgreich. Einige Wochen nach dem Start von Prio ging es aufwärts in dem Jobcenter. „Wir haben 2013 insgesamt 1.826 Integrationen geschafft, das ist für uns sehr viel“, sagt Puth. 300 mehr als die Vorgabe von 1.500, die man mit Kommune und Arbeitsagentur vereinbart hatte, das war sein Ziel, und das nachhaltig – in langfristige Jobs. 326 mehr sind es geworden, sein Jobcenter, das 2012 im Vergleich zu ähnlich strukturierten Jobcentern zu den schlechtesten zählte, gehört heute zu den besten bei den Vermittlungen.
Studien und andere Projekte geben Puth recht. So hat das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) wiederholt konstatiert, dass mit einer intensiven Betreuung mehr Arbeitslose einen Job finden. Die „Berliner Joboffensive“, ein Modell dieser Art, war so erfolgreich, dass es auf Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen ausgeweitet wurde.
Allerdings kostet eine intensive Betreuung Geld. Für Prio hat Puth 2013 insgesamt 770.000 Euro ausgegeben. Davon zahlte die Kommune 140.000 Euro aus ihrer Kasse, den Rest schichtete Puth aus dem Etat für Förderung um. Den Vorwurf, damit würde bei den Arbeitslosen gekürzt, lässt er nicht gelten. „Wir haben deswegen dafür nicht weniger ausgegeben.“ Das Jobcenter hatte diesen Etat zuvor schon nicht ausschöpfen können. Als allerdings unlängst bekannt wurde, dass bundesweit viele Jobcenter aus dem Förderetat Geld zugunsten der Verwaltung umschichten, hagelte es öffentlich nicht Lob, sondern Kritik, weil durch die Umschichtung nicht immer bessere Betreuung finanziert wird – sondern Stromkosten oder Tariferhöhungen.
Puth schwärmt von seinem Erfolg, er würde sein Projekt, das Ende des Jahres ausläuft, gerne fortsetzen. Noch ist das ungewiss, er muss die Trägergemeinschaft des Jobcenters überzeugen. Denn die Bundesagentur sitzt zwar mit im Haus bei den meisten Jobcentern, was diese aber machen, ist ihre Entscheidung: „Wir haben dezentrale Verwaltungsstrukturen,und damit ist es Sache der Trägergemeinschaft zu entscheiden, wie sie den Etat einsetzt“, sagt Alt. Es sei denn, das Sozialgesetzbuch II, landläufig Hartz IV, wird geändert – und beim Betreuungsschlüssel steht ein Vermittler zu 150 Kunden.
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