: Arbeitslos trotz Jura-Studium
■ „Ehemaligen“-Netzwerke und Absolventenkataloge sollen gegen die ansteigende Akademikerarbeitslosigkeit helfen
Berlin (taz) – Wenn Volker Bergt die Augen zumacht, sieht er sich „als Anwalt mit grauen Schläfen, der in der Kanzlei über das knarrende Parkett schreitet und die Fälle löst". Doch bis dahin ist noch ein weiter Weg: Bei 50 Kanzleien sprach der frischgebackene Münchner Jurist um einen Job vor – vergeblich. Dann versuchte er es über die privaten Kontakte seines Vaters – die blieben bislang ohne Resonanz. „Die Jobsuche ist ein Schock“, so Bergt. Wie der 28jährige Jurist mit Prädikatsexamen klopfen immer mehr Absolventen auch vermeintlich „sicherer“ Studiengänge bei der Stellensuche an verschlossene Türen.
Bei den Juristen stieg die Arbeitslosigkeit zwischen 1993 und 1994 um 19 Prozent. 4.400 Rechtsexperten suchen einen Job. Auch bei den Diplombetriebswirten und -kaufleuten waren 19 Prozent mehr erwerbslos als zuvor. Schon seit längerem sieht es bei den Ingenieuren mau aus. Bei den GeisteswissenschaftlerInnen dagegen nahm die Arbeitslosigkeit nur um fünf Prozent zu, dort seien allerdings schon 11.000 AkademikerInnen auf Jobsuche gemeldet, heißt es bei der Bundesanstalt für Arbeit.
Der Jobmarkt wird eng. Zu viele AbsolventInnen verlassen die Hochschulen, gleichzeitig aber rationalisieren die Firmen ihre Arbeitsplätze. „Früher oder später werden davon alle Berufsgruppen betroffen sein“, sagt Sigmar Gleiser, Arbeitsmarktexperte bei der Zentralstelle für Arbeitsvermittlung (ZAV) in Frankfurt am Main. Die Zahl der gemeldeten offenen Stellen für die sogenannten qualifizierten kaufmännischen und Verwaltungsberufe etwa ging bei der ZAV in den vergangenen zehn Jahren um 37 Prozent zurück (Westen).
Die Zeiten werden nicht besser: Nach einer Annäherungsprognose der Kultusministerkonferenz drängen künftig alljährlich mehr als 200.000 HochschulabsolventInnen neu auf den Arbeitsmarkt, Tendenz steigend. Derzeit sind aber schon 200.000 AkademikerInnen arbeitslos gemeldet.
Wer eine Chance haben will, muß daher schon während des Studiums vorbauen. „Alle Veranstaltungen, die Praxisnähe versprechen, sind heiß begehrt“, erzählt Christian Walther, Sprecher der Freien Universität Berlin. Noch begehrter sind Praktika in Firmen und Organisationen. Die in den USA beliebte Verfahrensweise, „Ehemalige“ in guten Positionen anzubaggern, ob sie denn nicht Praktikumsplätze oder gar Jobs für den Nachwuchs vermitteln könnten, findet auch an deutschen Unis Nachahmer. Am Institut für Politologie der FU beispielsweise werden Praktikumsplätze in Organisationen „bis hin zur UNO" vermittelt, so Walther.
Wirtschaftsstudenten bieten in mehr als 40 studentischen Unternehmensberatungen ihre Dienste an, um später bei Bewerbungen mit ihren praktischen Erfahrungen glänzen zu können. Auch die Idee der „Absolventenkataloge“, aus den USA importiert, wurde in Deutschland aufgegriffen. In diesen Katalogen preisen sich die AbgängerInnen mit Bild, Kurzprofilen und Spezialkenntnissen an. Solche Breviere erscheinen in Mannheim, Bochum, Berlin, Kaiserslautern und Krefeld.
In Hamburg gründete der Diplomkaufmann Kai Rüsen mit Gleichgesinnten die „Akademiker-Initiative e. V.“. Dort können erwerbslose Absolventen kostenlos ein Bewerbungstraining machen oder sich über infobroking, ökoaudit und andere neuere Tendenzen austauschen. „Wir haben Akademiker aus allen Studiengängen“, betont Rüsen.
Trotz alledem besteht für die Studierenden jedoch kein Anlaß zum Jammern: Die ganz überwiegende Zahl der Betriebswirte, der deutlich größte Teil der Juristen und immerhin noch 66 Prozent der Magisterabsolventen hatten spätestens vier bis fünf Jahre nach der Universitätsausbildung eine mehr oder weniger „ausbildungsadäquate“ Tätigkeit gefunden. Dies ergab eine einschlägige Absolventenbefragung der Hochschul-Informations-System Gmbh (HIS) in Hannover. Und die Arbeitslosenquote der AkademikerInnen ist auch nur unterdurchschnittlich gestiegen: Sie lag zuletzt bei 3,9 Prozent. Barbara Dribbusch
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