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Arbeitlosenrekord: 3,7 Millionen

■ Im Dezember erreichte die Erwerbslosigkeit in Westdeutschland den höchsten Stand der Nachkriegszeit / SPD: Verfehlte Wirtschaftspolitik ist schuld / Auch jüngste Zahlen sind noch geschönt

Nürnberg/Bonn (AP/AFP/dpa/ taz) – Die Erwerbslosenzahl in der BRD hat im neuen Jahr den höchsten Stand der Nachkriegszeit erreicht. Ende Dezember waren insgesamt 3.688.900 Arbeitslose registriert – 562.700 mehr als ein Jahr zuvor.

Allerdings sei die gesamtdeutsche Zunahme der Arbeitslosigkeit im Dezember um fast 130.000 „überraschend verhalten“ ausgefallen und fast ausschließlich auf jahreszeitliche Gründe zurückzuführen, sagte der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, Bernhard Jagoda, gestern in Nürnberg. Im Westen wurden 2.513.700 Arbeitslose gezählt, 488.200 mehr als vor einem Jahr. Damit überschritt der Dezember-Stand in der alten Bundesrepublik erstmals die 2,5-Millionen-Grenze.

Die Erwerbslosenquote erhöhte sich auf 8,1 Prozent (Dezember 1992: 6,6 Prozent). Im Osten stieg die Arbeitslosenzahl auf 1.175.200 und lag damit um rund 75.000 höher als ein Jahr zuvor. Die Erwerbslosenquote liegt damit nun bei 15,4 Prozent.

Für den Anstieg der Arbeitslosenzahl auf fast 3,7 Millionen ist nach Ansicht der SPD zu einem großen Teil die Bundesregierung verantwortlich. Die Bonner Koalition setze einseitig auf Kostenentlastung bei Löhnen sowie den Abbau von Umwelt- und Sozialstandards, erklärte der sozialpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Ottmar Schreiner. Er monierte außerdem, daß die jüngsten Arbeitslosen-Zahlen noch geschönt seien. Es gebe weitaus mehr arbeitslose Frauen als die angegebenen 21,5 Prozent.

Anrechnungspraxis von Versicherungen ändern

Die Bundesanstalt für Arbeit wird nach Angaben des Bundesarbeitsministeriums ihre Dienstanweisung zur Anrechnung von Lebensversicherungen auf die Arbeitslosenhilfe ändern. Damit reagierte die Bundesregierung offenbar auf Proteste von SPD und Grünen, die von einer haarsträubenden Praxis der Arbeitsämter gesprochen hatten.

Der Präsident der Bundesanstalt, Bernhard Jagoda, hatte dagegen gestern Mittag noch das Verfahren seiner Beamten verteidigt, wegen Ansprüchen aus Lebensversicherungen in bestimmten Fällen die Zahlung von Arbeitslosenhilfe auszusetzen.

In der in Bonn verbreiteten Mitteilung hieß es, das Bundesarbeitsministerium werde sicherstellen, daß entsprechend der Zielsetzung der Arbeitslosenhilfe-Verordnung Lebensversicherungen zur Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung auch in Zukunft nicht als Vermögen bei der Gewährung von Arbeitslosenhilfe zu berücksichtigen sind.

Andererseits bestehe kein Grund, Kapital-Lebensversicherungen, die nicht der Alterssicherung, sondern der Geldanlage dienen und deren Verwertung auch nicht unwirtschaftlich wäre, bei der Arbeitslosenhilfe gegenüber vergleichbaren Vermögenswerten zu privilegieren.

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