: Arbeitgeber verhandlungsunfähig
■ Verhandlungsführer der Arbeitgeber zurückgetreten / Metall-Tarifverhandlungen abgebrochen / Regie von Gesamtmetall im Hintergrund / Warnstreiks in den Betrieben
Berlin (taz) - Die Metall-Tarifverhandlungen in der Region Berlin-Brandenburg in Henningsdorf wurden in der Nacht zu Dienstag von den Arbeitgebern unerwartet abgebrochen. Nach mehr als siebenstündigen getrennten Beratungen erklärte der Verhandlungsführer der DDR-Arbeitgeber, der Geschäftsführer der IFA-Autowerke in Ludwigsfelde, Lothar Heinzmann, er sei durch einen Warnstreik der IFA-Belegschaft unter Druck gesetzt worden und trete deshalb von seiner Funktion als Verhandlungsführer zurück.
Tatsächlich hat Heinzmann sich dem Druck des westdeutschen Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall beugen müssen, der ähnlich wie die West-IG-Metall auf der anderen Seite im Hintergrund die Regie führt. Der Verband zog Heinzmann aus dem Verkehr, weil er gegenüber den Forderungen einer Belegschaftsdelegation zu nachgiebig gewesen ist und einen Werktarifvertrag über Beschäftigungssicherung unterzeichnet hat.
Die Tarifverhandlungen in Berlin-Brandenburg für die 300.000 Metall-Beschäftigten dieses Bezirks gelten als Pilotverhandlungen für die gesamte Metallbranche der DDR. Die IG Metall der DDR fordert die 40-Stunden-Woche und einen Teuerungsausgleich in Höhe von 400 DM, der die Preissteigerungen und höheren Sozialversicherungskosten durch die Währungsunion und die Übernahme des bundesdeutschen Sozialversicherungssystems ausgleichen soll. Außerdem fordert die Gewerkschaft eine zweijährige Beschäftigungsgarantie. Der von der Gewerkschaft nicht bestrittene Personalüberhang in vielen Betrieben soll durch Umschulungs- und Qualifizierungsmaßnahmen nach den Möglichkeiten des Arbeitsförderungsgesetzes abgesichert werden. Danach würden überzählige Arbeitskräfte vorübergehend von einer Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft übernommen, die 67 Prozent des bisherigen Nettolohns als Kurzarbeitgeld trägt. Die Betriebe hätten lediglich die Differenz zum vollen Nettolohn zu übernehmen. Dies, so die Gewerkschaft, komme die Betriebe wahrscheinlich billiger als Entlassungen, weil während der Kündigungsfrist der volle Lohn weitergezahlt werden muß und zusätzlich Sozialplankosten anfallen würden.
Die Verhandlungen am Montag waren von Warnstreiks in rund 45 Betrieben begleitet, an denen sich an Angaben der Gewerkschaft rund 30.000 Beschäftigte beteiligt haben. Der nächste Verhandlungstermin ist für den 9.Juli angesetzt worden.
In den DDR-Betrieben herrscht seit dem 1.Juli praktisch ein tarifloser Zustand. Die Arbeitgeberstrategen haben offenbar ein Interesse daran, diesen Zustand möglichst lange aufrechtzuerhalten, um die Unsicherheit unter den Beschäftigten zu ihren Gunsten auszunutzen.
marke
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