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Arbeiten Aktionäre, wenn ja, was?

■ betr.: „Wir sind alle Sozialbe trüger“, taz vom 17.11. 97

Die taz im allgemeinen und Barbara Dribbusch im besonderen verstehen es dankenswerterweise, sozialpolitische Themen unabhängig von irgendeiner Standort- oder Profitlogik zu diskutieren. Diejenigen Organisationen, die es unmittelbar angeht – oder angehen sollte –, haben diese Fähigkeit, den menschlichen und soziologischen Aspekt von Arbeit zu diskutieren, schon lange verloren.

Die Gewerkschaften und mit ihnen die SPD, die sich einmal als Partei der arbeitenden Menschen verstand, haben den Wettbewerb aufgenommen; ihnen ist nichts mehr wichtiger, als die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Gerade die Gewerkschaften aber sehen nicht, wie ihnen zusehens die Legitimität genommen wird.

Öffentliche Arbeitgeber exerzieren vor, was Unternehmer schon lange fordern: den Billiglohnsektor par exellence. Die ÖTV schweigt – Outsourcing zum Nulltarif ist kein Thema für Gewerkschaften. Die Städte und Kommunen lassen arbeiten ohne Arbeitsvertrag, ohne Tarifvertrag, ohne Rechte für die Arbeitenden. Armut macht rechtlos – auch und gerade im Rechts- und Sozialstaat Deutschland. Oder ist das, was SozialhilfeempfängerInnen tun, keine Arbeit und muß deshalb nicht bezahlt werden? Hat die Dienstleistungsgesellschaft wieder Diener?

Überall propagieren Gewerkschaften die Wichtigkeit von Tarifverträgen; diejenigen, die sie am dringensten brauchen, werden von den Interessenvertretern vergessen und bleiben Spielbälle der Mächtigen. Hat einE SozialhilfeempfängerIn kein Recht auf eine faire Bezahlung? Oder ist der Verlust des Arbeitsplatzes jetzt mit Arbeit zu bestrafen? Arbeit zur Disziplinierung? Merken's die Gewerkschaften nicht, daß arbeitsrechtliche Standards den Bach runter gehen, wenn öffentliche Arbeitgeber Arbeit ohne Vertrag anbieten?

Warum noch bezahlen, wenn Arbeitslose so schön erpreßt werden können? Das findet Nachahmer in der freien Wirtschaft – wenigstens die Wirtschaft bleibt frei. Arbeitspflicht zuerst im öffentlichen Sektor, später dann im privaten. Dann sind wir wirklich konkurrenzlos, jedenfalls solange bis es alle machen in der ganzen Welt. Sozialstaat ade – es lebe die Diktatur des Kapitals.

Apropos: Was ist eigentlich mit der Arbeitsethik derer, die von ihren Kapitalanlagen leben? Arbeiten Aktionäre? Und wenn ja, was? Und auf wessen Kosten? Raimund Bieker, Offenbach

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