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■ Alle reden über die Wirtschaftskrise. Wo ist der Ausweg?Arbeit als Recht

Jetzt, wo die offizielle Arbeitslosenzahl die Vier-Millionen-Marke übersprungen hat und die der faktisch Arbeitslosen auf sechs Millionen zugeht, jetzt werden die, die gewählt und eingeschworen wurden, den Nutzen des deutschen Volkes zu mehren und Schaden von ihm zu wenden, jetzt werden sie langsam nervös. Und diese Nervosität ist nicht unbegründet. Zwar brennen noch keine Arbeitsämter oder Rathäuser, aber es ist klar: Die Einnahmen der sozialen Sicherungssysteme gehen in ebendem Umfang zurück, wie ihre Ausgaben steigen müssen. Das kann nicht lange gutgehen.

So schlägt die Stunde der Notprogramme. Die bestehen im wesentlichen aus drei Elementen:

Der Preis der Arbeit muß niedriger werden, sei es durch moderate Lohnabschlüsse, sei es durch die Senkung der Lohnnebenkosten; die teuren Maschinen müssen durch flexible Arbeitszeitregelungen besser ausgelastet werden können; die innovativen Kräfte sollen gestärkt werden, sei es durch den Abbau bürokratischer Hindernisse oder durch direkte Beihilfen zur Unternehmensgründung. Es ist erstaunlich, daß diese Therapievorschläge durch alle politischen Lager hindurch mittlerweile konsensfähig sind. Sogar die Gewerkschaften lassen sich nun gern dafür loben, endlich eingesehen zu haben, daß es einen Zusammenhang zwischen Höhe der Löhne und Arbeitslosigkeit gibt.

Doch am Erfolg dieser Roßkur muß man zweifeln. Das Ziel der Maßnahmen ist es, die deutschen Produkte wettbewerbsfähiger auf dem internationalen Markt zu machen. Doch etwa 75 Prozent der deutschen Exporte gehen in die europäischen Industrieländer, in die USA und nach Japan. Und mit den Importen ist es ebenso. Soll man annehmen, daß es unseren Konkurrenten in diesen Ländern an Intelligenz mangelt, auf dieselben schlichten Ideen zu kommen? Wenn diese dieselben Rezepte anwenden, dann wird der einzige Erfolg der jetzigen Therapievorschläge sein, daß wir in einigen Jahren vor demselben Berg von Arbeitslosen stehen – nur auf einem deutlich niedrigeren Niveau von Einkommen und sozialer Absicherung. Wenn diese Spirale der Verarmung die europäische Antwort auf die bestehenden Probleme wird, dann ist es wirklich besser, so schnell wie möglich abzuspringen.

Was also dann? Wenn man die Nachfrage nach Arbeit nicht willkürlich und schon gar nicht schnell vermehren kann und gleichwohl Arbeitslosigkeit vermeiden will, dann muß man die Arbeit umverteilen. Was uns fehlt, ist die Einsicht, daß die Möglichkeiten dazu nicht ausgeschöpft sind. Ein weiterer erfolgversprechender Schritt in diese Richtung wäre ein gesetzliches Verbot von Überstunden.

Doch auch das wird nicht reichen. Was wir brauchen, ist ein durchsetzbarer Rechtsanspruch auf Arbeit, der mit den Prinzipien der Marktwirtschaft vereinbar ist. Im Rahmen einer Marktwirtschaft kann ein Recht auf Arbeit nur die Form haben, daß der Arbeitsuchende verlangen kann, daß die wirtschaftlich nachgefragte Arbeit so umverteilt wird, daß er einen fairen Teil davon abbekommt. Da es nur um die Umverteilung der wirklich nachgefragten Arbeit geht, werden den Unternehmen keine Arbeitskräfte aufgezwungen, die sie nicht benötigen. Ein Unternehmen wäre dann aber gezwungen und berechtigt, zum Beispiel zehn Vollzeitschlossern neun Prozent ihrer Arbeit und ihres Gehaltes wegzunehmen, wenn ein arbeitsloser Schlosser vor der Tür steht. Ein solches Recht auf die Umverteilung von Arbeit hätte erhebliche Konsequenzen: Arbeitsverträge könnten nicht mehr mit einer bestimmten Stundenzahl abgeschlossen werden, sondern müßten eine gewisse Schwankungsbreite zulassen. Da dies auch Schwankungen im Einkommen bedeutet, müssen hierfür Grenzen festgelegt werden, die sich an der Reproduktionsfähigkeit der Arbeitenden orientieren. Jemandem in einer Leichtlohngruppe kann man vielleicht 10 Prozent seiner Arbeit und seines Einkommens wegnehmen. Ein gutbezahlter Manager kann auch mit 40 Prozent weniger Gehalt noch anständig leben. Das sind natürlich Einbußen. Aber je mehr das Modell greift, desto kleiner werden für jeden das Risiko und die Angst, entlassen zu werden.

Das Modell wird Kosten verursachen. Auch durch Umverteilung wird nicht für alle Arbeitslosen ein Arbeitsplatz gefunden werden können, für den sie qualifiziert sind. Dann muß man sehen, in welchen benachbarten Bereichen noch Umverteilungsspielraum besteht. Also werden Umschulungen, Fortbildungen oder auch Mobilitätsbeihilfen nötig sein. Auch auf die Unternehmen kommen, selbst wenn die Lohnsumme gleichbleibt, mit der Integration neuer Arbeiter und der gegebenenfalls erforderlichen Umstrukturierung von Arbeitsprozessen neue Belastungen zu. Doch dem stehen riesige Einsparungsmöglichkeiten gegenüber. Denn wenn so für alle ein Arbeitsplatz geschaffen wird, kann die Arbeitslosenversicherung abgeschafft werden. Ebenso entfällt der Zwang zu Frühverrentungen, und auch in der Sozialhilfe werden die Ausgaben drastisch zurückgehen.

Im Vergleich zu den bislang diskutierten Therapievorschlägen ist das Modell deshalb aus vier Gründen vorzuziehen: 1. Es beseitigt die Arbeitslosigkeit wirksam und dauerhaft und funktioniert auch dann, wenn alle anderen Staaten dieselben Regelungen einführen. Es wäre eine taugliche Basis für eine europäische Sozialcharta. 2. Es sorgt dafür, daß von der ökonomischen Großwetterlage alle betroffen werden. Die dazu erforderliche Bereitschaft, von der eigenen Arbeit und vom Einkommen etwas abzugeben, wäre ein Stück jenes Gemeinsinns, der allerorten beschworen wird. 3. Es beseitigt wesentliche Möglichkeiten des Mißbrauchs sozialer Leistungen. In dem Maß, in dem das skizzierte Recht auf Arbeit funktioniert, kann es auch eine Pflicht zur Arbeit geben. Wer einen Arbeitsplatz bekommen kann, kann nicht von seinen Mitbürgern verlangen, daß sie sein Nichtstun alimentieren. 4. Es befreit die Politik ein Stück weit aus der Abhängigkeit von Unternehmensentscheidungen. Wenn die Vollbeschäftigung quasi unterhalb der politischen Ebene garantiert wird, gewinnt die Politik neue Gestaltungsspielräume.

Für diese Lösung des Problems der Arbeitslosigkeit wären freilich heilige Kühe zu schlachten. Das erfordert Kraft und Entschlossenheit. Weitermachen wie gehabt ist allemal bequemer. Aber es ist zur Wirkungslosigkeit verurteilt. Es offenbart mit jedem Tag die Ohnmacht solcher Politik und verstärkt die Verdrossenheit. Wen soll ein Arbeitsloser wählen, wenn alle Parteien über die angeblich übermächtigen Sachzwänge lamentieren? Eine politische Klasse, die aufhört, die für das Leben der Bürger essentiellen Belange gestalten zu wollen, erklärt sich selbst für überflüssig. Walter Pfannkuche

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