■ Antje Vollmer: Hamburg nach der Wahl: Kanzlerdämmerung
Das muß man schon einen Erdrutsch nennen. Dabei hatte die Woche vor der Hamburger Wahl für die CDU grandios begonnen. Helmut Kohl konnte sich nicht souveräner als Master of the System präsentieren. Er schwebte geradezu in einer ganz eigenen Dimension über dem CDU-Parteitag, so, als sei er endgültig immunisiert gegen potentielle Niederlagen. Die Rollenverteilung mit Wolfgang Schäuble schien klug berechnet. Während Kohl sich als Repräsentant der „Partei der Mitte“ mit staatsmännischem Flair für die konservativ-liberalen Wählerschichten anbot, hatte Schäuble den Bereich der moralisch-ideologischen Trendwende besetzt, um die Wähler vom rechten Rand mit einzubinden.
So las sich die CDU zu Beginn der Woche, so hätte sie einen schönen Achtungserfolg erzielen können – wenn nicht die Hamburger Wähler eine neue Bilanz vorgelegt hätten: Die in Bonn unangefochtene Regierungspartei CDU bringt im Stadtstaat Hamburg nicht einmal mehr doppelt so viele Stimmen für sich in die Urnen wie die Grün-Alternativen, sie verliert in der Mitte relevante Wählerstimmen an die CDU-Rebellen der Statt Partei, sie verliert am rechten Rand weiterhin an die rechtsradikalen Parteien. Und sie verliert mit der FDP ihren natürlichen Bündnispartner für Koalitionen der rechten Mitte. Vier Hiobsbotschaften auf einmal für CDU- Wahlstrategen. Wenn da nicht alle Glocken im Konrad-Adenauer- Haus Alarm läuten!
Es wird nun heißen, das Ergebnis habe rein Hamburger Ursachen und keinerlei bundespolitische Signalwirkung. Man kann auch versuchen, die Hauptaussage der Hamburger Wahl als Menetekel für die traditionellen Bonner Parteien im Ganzen zu lesen, darüber kollektiv und kurz zu erschrecken, und an „Weimar“ erinnern, was inzwischen der Standardkommentar nach jeder Landtagswahl ist – und mit schöner Regelmäßigkeit nach einer Woche der allgemeinen Bußfertigkeit wieder in Vergessenheit gerät. Beide Erklärungsversuche würden aber der spannendsten Frage nach dieser ersten Testwahl vor dem großen Wahlmarathon ausweichen: Wie reagiert die CDU darauf, daß ihr in der Mitte sowohl die Wähler als auch ein sicherer Koalitionspartner verlorenzugehen drohen?
Das Neue an der Hamburger Wahl ist eine neue Kategorie von Protestwählern, die durch die bisherigen Volksparteien nicht mehr eingebunden werden. Diese Protestwähler befinden sich in der politischen Kartographie diesmal nicht links von der SPD und nicht rechts von der CDU – sondern links von der CDU. Was sind das für Wähler der Mitte, die lieber einem parteiähnlichen Gebilde ohne jedes programmatische Profil folgen, als noch einmal die Kanzlerpartei zu wählen, die sich auf dem Berliner Parteitag so stolz und selbstbewußt präsentierte?
Man darf vermuten, daß der gemeinsame Nenner dieser CDU- Dissidenten der Protest gegen die Kanzler-Herrlichkeit, ein Schuß Populismus und ein ernsthaftes Bemühen um mehr Bürgernähe und Machtpartizipation ist. Sie repräsentieren also genau den basisdemokratischen Flügel der CDU, den es in den Kommunen immer gegeben hat, der aber inzwischen zu einem Schattendasein von ätherischer Flüchtigkeit verurteilt schien. Während die CDU-Führung sich im wesentlichen darauf konzentrierte, den rechten Rand des Wählerspektrums unter anderem mit den Kampagnen ums Asylrecht und die Innere Sicherheit einzubinden, hat sie, fast unbemerkt, eine ebenso große Gruppe von Wählern auf ihrem linken Spektrum verloren, die weder von der SPD angezogen noch von der FDP überzeugt sind.
Wenn nicht alles täuscht, scheint sich hier in der CDU ein Prozeß anzudeuten, der vergleichbar ist mit der Trennung der Grünen von der damaligen Regierungspartei SPD. Wie die Ökologen und Friedensbewegten in der SPD Anfang der 80er Jahre sich nur das Schicksal des gedeckelten und chancenlosen Erhard Eppler vor Augen führen mußten, um zu begreifen, daß es für sie und ihre Überzeugungen in einer Helmut- Schmidt-SPD nie einen Platz geben würde, so mußten die Anhänger der Bürgerdemokratie innerhalb der CDU in Berlin nur die Deklassierung von Geißler, Süssmuth und Biedenkopf studieren, um sich auf Dauer ihre ungemütliche Zukunft in der CDU zu verdeutlichen. Die Art und Weise, wie in der Partei kritische Positionen abgestraft und hohe Ämter – nicht nur das des Bundespräsidenten – inzwischen nach der Erwählungs- Methode vom Kanzler besetzt werden, tut das ihre, das Weggehen zu erleichtern. Da bietet sich der Weg an, den auch in Italien die populistischen Dissidenten der damaligen „Democrazia Cristiana“ vorgezogen hatten: das Machtzentrum der Partei von außen zu bestürmen und so nachhaltiger auf Beachtung der vergessenen Themen zu drängen. So liegt in dem Zufallserfolg der Hamburger CDU-Rebellen trotz ihrer Leichtgewichtigkeit doch ein Moment von Kanzlerdämmerung, wie es sich bereits mit den heftigen Diskussionen um die Kandidatur Heitmanns zum Bundespräsidenten ankündigt.
Das bestehende Parteienspektrum franst nicht nur nach links und nach rechts aus, sondern auch in der bürgerlichen Mitte. Diese Erosion betrifft die Kernzonen, die tragenden Architekturteile der klassischen bürgerlichen Demokratien.
Dieser Eindruck wird noch verstärkt durch die offensichtliche Schwäche der FDP. Hamburg war nie eine Hochburg der FDP, aber das Scheitern der Liberalen in der Hansestadt trägt diesmal zugleich alle Krisenzeichen der Bundes- Partei. Sie ist personalpolitisch ausgeblutet und programmatisch für einen Teil ihrer Stammwähler unattraktiv geworden, seit der sozialliberale Flügel ins Rentenalter kam oder am Rand der Partei dahindümpelt. Das heftige Liebeswerben von Kinkel bis Augstein um den erlösenden Gott-sei-bei-uns-Genscher hat deswegen Züge von Überlebens- Panik.
Was bleibt der CDU als alternative Option, wenn die FDP, ihr natürlicher Bündnispartner für eine Koalition der rechten Mitte, nicht sicher im nächsten Bundestag ist? Mit wem könnte sie sich zusammentun, wenn sich das linke Spektrum der bürgerlichen Mitte weder in der CDU noch in der FDP bündelt? Offensichtlich war es diese Frage, die Geißler, der auch nichts mehr zu fürchten hat, verwegenerweise an schwarz-grüne Konstellationen denken ließ. Das ist nur logisch, aber derzeit außerhalb der realen Manövrier-Möglichkeiten beider Parteien.
Man darf gespannt sein, wie die CDU-Führung das Hamburger Desaster verarbeitet. Der Zukunft des demokratischen Spektrums jedenfalls würde es nutzen, wenn die Volksparteien mit dem beliebten Rückgriff auf Weimar nicht länger nur die Zunahme der „Radikalen von links und rechts“ im Blick hätten, sondern auch ihre eigene Schwäche, die bürgerliche Mitte zu binden. Die Leichtfertigkeit, mit der sie Bürgerengagement und basisdemokratische Einmischung abzuweisen belieben, dürfte dann wohl ein Ende haben.
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