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Antisemit, aber kein Verbrecher

■ Bezirksamt Wilmersdorf beschließt heute, den Seebergsteig nicht umzubenennen. CDU-Stadtrat: Seeberg kein Verfechter der Judenverfolgung

Der Seebergsteig in Wilmersdorf bleibt weiterhin nach dem umstrittenen evangelischen Theologen Reinhold Seeberg benannt. Der Wilmersdorfer Bezirksbürgermeister Michael Wrasmann (CDU) sagte gegenüber der taz, daß in der heutigen Sitzung des Bezirksamts beraten werde, die Umbenennung des Seebergsteigs in Walter-Benjamin-Straße nicht weiter zu verfolgen.

In der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) im Mai hatte die CDU, die in Wilmersdorf die absolute Mehrheit hat, das Bezirksamt aufgefordert, von der Umbenennung, die 1991 von SPD, Bündnisgrünen und FDP beschlossen wurde, Abstand zu nehmen. Laut Wrasmann ist aufgrund der CDU- Mehrheit im Bezirksamt davon auszugehen, daß das Gremium den Antrag auf Umbenennung endgültig abschmettert. Damit gibt es für die Opposition in der Bezirksverordnetenversammlung keine Möglichkeit mehr, dagegen vorzugehen. Jetzt bleibt nur noch, daß Bausenator Jürgen Klemann (CDU) die Umbenennung wegen ihrer überregionalen Bedeutung an sich zieht. Zu diesem letzten Mittel hatte Bausenator Wolfgang Nagel (SPD) 1994 im Falle der Steglitzer Spiegelwand zum Andenken an die ermordeten Juden 1994 gegriffen.

Nach Angaben des bündnisgrünen Bezirksverordneten Jürgen Karwelat hätten die AnwohnerInnen, die gegen die Umbenennung geklagt hatten, deswegen bereits ihre Klage vor dem Oberverwaltungsgericht zurückgezogen.

Baustadtrat Alexander Straßmeir (CDU) verteidigte gegenüber der taz die starre Haltung der CDU. Die Jüdische Gemeinde hatte das Bezirksamt aufgefordert, die Straße nach dem jüdischen Schriftsteller Walter Benjamin umzubenennen. Auch der Kulturausschuß des Abgeordnetenhauses empfahl der BVV, über die Umbenennung erneut zu diskutieren.

Für die CDU, so Straßmeir, sei Seeberg kein Wegbereiter des Nationalsozialismus, da er aktiv „keine Juden verfolgt“ habe. Seeberg hatte in den zwanziger Jahren mehrere antisemitische Schriften publiziert, in denen er das „Judentum“ als „Todfeind jeder wirklichen Kultur und jedes geistigen Fortschritts“ bezeichnete. Die „schillernde Figur“ Seeberg sei zwar „unzweifelhaft“ antisemitisch gewesen, aber auch ein „herausragender“ Theologe. Ein Verbrecher ist Seeberg für Straßmeir ebenfalls nicht, denn nur Namen von „Verbrechern“ müßten von Straßenschildern entfernt werden. Daß die Grünen und die SPD in den vergangenen Monaten immer wieder für die Umbenennung plädiert hatten, bezeichnete Straßmeier als „zeitgeistig“. Julia Naumann

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