Antifeminismus aus der Kolonialzeit: Haft nach Fehlgeburt

El Salvador hat eines der striktesten Abtreibungsverbote weltweit. Doch die Wurzeln dieses Gesetzes liegen in Europa.

Frauen demonstrieren mit grünen Tüchern worauf Slogangs für illegale Abtreibung stehen

Feministinnen demonstrieren für das Recht auf sichere Schwangerschaftsabbrüche in El Salvador im September 2022 Foto: Rodrigo Sura/efe/epa

LEIPZIG taz | Kaum ein Land bestraft Abtreibung so hart wie El Salvador. Das zentralamerikanische Land ist eine von weltweit sieben Nationen, in denen sie ausnahmslos illegal sind. Bis zu 30 Jahre Gefängnis drohen Frauen, die eine Schwangerschaft beenden – egal ob freiwillig oder durch eine Fehlgeburt. Sie werden oft für Mord oder Totschlag verurteilt und sitzen ihre Haftstrafen unter häufig unmenschlichen Bedingungen ab.

Doch das Gesetz hat seine Wurzeln nicht in El Salvador. Vielmehr ist es ein Beispiel dafür, wie stark die Kolonialisierung und die damit einhergehende Christianisierung reproduktive Rechte und Frauenbilder in Lateinamerika verändert haben.

Warum beschäftigen wir uns in einem Dossier mit Antifeminismus? Schon in vielen Liedern wird besungen: „Know your enemy“. Oft ist Antifeminismus subtil. Wie wir ihn entlarven können, wird klar, wenn wir uns mit ihm auseinandersetzen: Welche Formen nimmt er an? Wer sind die Akteur*innen? Und wie können wir ihm begegnen? Alle Dossiertexte gibt es im Online-Schwerpunkt zum feministischen Kampftag.

Tatsächlich war Schwangerschaftsabbruch dort eine jahrhundertealte Praxis. Untersuchungen belegen ihre Durchführung seit dem 6. Jahrhundert. In Mexiko etwa führten die Tla­mat­quiti­citl, also die Me­di­zinerinnen der Azteken, Schwangerschaftsabbrüche mit­hilfe von Tees oder Kräutern durch – wirksam, mitunter aber eine Gefahr für die Gesundheit. Abbrüche waren für die Tlamatquiticitl ein Weg, den normalen Menstruationszyklus wiederherzustellen. Im Fokus stand die Frage, ob die Schwangere gerade Mutter werden will – oder eben nicht. Die Historikerin Frieda Bequeaith schreibt, sie sei auch im Fall El Salvador „fest davon überzeugt, dass es diese Form des Widerstands in der Vergangenheit gab und dass sie bis heute anhält“.

Erst mit der Kolonialisierung Lateinamerikas durch Spanien im 15. Jahrhundert sowie dem Import spanischer Strafgesetze wurde der Schwangerschaftsabbruch in El Salvador illegalisiert. Die Missionare importierten das Christentum und mit ihm patriarchale Vorstellungen von Sexualität und Reproduktion. Indigene Gemeinden wurden unterworfen, ein Großteil ihres medizinischen Wissens wurde durch westliche Medizin ersetzt.

Koloniale Ideen blieben

Im Jahr 1821 wurde El Salvador unabhängig. Doch viele koloniale Gesetze und auch Ideen lebten weiter. Im Kalten Krieg hatten die USA ein Interesse daran, die mehrheitlich linksdemokratischen Regierungen in der Region zu sabotieren. Mit militärischen Interventionen und der Unterstützung von Militärputschs griffen sie in die Politik lateinamerikanischer Länder ein. In El Salvador führte das zu einem blutigen Bürgerkrieg.

70.000 Menschen starben. Tausende Indigene wurden ermordet – und mit ihnen ihr Wissen. Emanzipatorische Bestrebungen rückten immer weiter in den Hintergrund. Zwar gab es in den 1960er und 1970er Jahren durchaus feministische Bewegungen in Lateinamerika– in El Salvador lag der Fokus jedoch auf dem Widerstand gegen die Diktatur.

Erst in den 1990er Jahren rückte das Thema reproduktive Rechte stärker in den Blick der dortigen Frauenbewegung. Die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen wurde als Forderung in die Friedensverhandlung nach dem 12-jährigen Bürgerkrieg eingebracht. Tatsächlich wurde in diesem Rahmen 1998 ein Gesetz zu Abtreibungen verabschiedet. Statt einer Liberalisierung brachte dieses aber eine weitere Verschärfung: Waren ein Schwangerschaftsabbruch zuvor beispielsweise legal, um das Leben der Schwangeren zu retten, wurde er nun allumfassend illegalisiert. Zu verdanken ist das dem starken Einfluss der (ebenfalls durch die Kolonisierung ins Land gekommenen) katholischen Kirche, die in den Verhandlungen als Vermittlerin aufgetreten war.

Staat schuldig gesprochen wegen Menschenrechtsverletzung

Konservative katholische Kräfte sind in Lateinamerika und El Salvador bis heute dominant. Evangelikale Fun­da­men­ta­lis­t*in­nen gewinnen an Einfluss. Der amtierende Präsident Nayyib Bukele etwa ist eng mit sogenannten Lebensschützern aus fundamentalistisch-evangelikalen Netzwerken verbandelt.

Erst im vergangenen Jahr sprach der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte den Staat wegen der Verletzung von Menschenrechten schuldig. Es ging um den „Fall Manuela“: Die krebskranke Frau war nach einer Fehlgeburt zu 30 Jahren Haft verurteilt worden. Sie starb im Gefängnis.

Die Regierung erkannte dieses Urteil im Januar 2023 unter Druck an. Politische Willenskraft, etwas zu verändern, gibt es jedoch nicht. Schwangerschaftsabbruch bleibt verboten. Dabei zeigt der Blick auf die Geschichte des Landes: Nicht etwa die Kriminalisierung ist in El Salvador verwurzelt, sondern im Gegenteil: Es ist offenbar der Zugang zu einem Schwangerschaftsabbruch, der Tradition hat.

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Dieser Text ist Teil der Sonderausgabe zum feministischen Kampftag am 8. März 2024, in der wir uns mit den Themen Schönheit und Selbstbestimmung beschäftigen. Weitere Texte finden Sie hier in unserem Schwerpunkt Feministischer Kapmpftag.

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