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Anschluß bedeutet §218

■ Ostberliner Arbeitskreis von Frauenorganisationen warnt vor Abschaffung der liberalen DDR-Abtreibungsgesetze / Kundgebung am Sonntag vor Volkskammer

Während noch im letzten Jahr in der DDR 30 von 100 Schwangerschaften abgebrochen wurden, erhöhte sich die Zahl innerhalb des laufenden Jahres auf 40 Prozent; eine Entwicklung, die die allgemeine Unsicherheit und Arbeitsplatzverlustängste gerade von Frauen zum Ausdruck bringe. Dieser Ansicht ist ein Arbeitskreis von Ostberliner Vertreterinnen verschiedener Gruppen, Parteien und Verbände, die gestern auf einer Pressekonferenz vor einer Abschaffung des seit 1972 geltenden „Gesetzes zum legalen Schwangerschaftsabbruch“ durch eine von der CDU geführte Regierung warnten. Die Übernahme der bundesdeutschen Gesetzgebung bei einem Anschluß der DDR nach Artikel 23 bedeute den Paragraphen 218 und damit die strafrechtliche Verfolgung von Abtreibung.

Weiter heißt es, daß „die Pille“ nicht das Allheilmittel sei, sondern „das reinste krankmachende Schweinefutter“, befindet Christine Steer von der Grünen Liga, auch die Qualität der DDR-Kondome sei „nicht gut“. Zwar sei sie aus moralischen Gründen eigentlich gegen Abtreibung. Aufgrund der mangelnden Alternativen und nicht zuletzt der Tatsache, daß es offensichtlich wenig DDR-Männer gibt, die „bereit sind, freiwillig Kondome anzuwenden“, werde man auf dem Recht auf Abtreibung bestehen. Die Frauen fordern eine Verbesserung der sexuellen Erziehung für Jungen und Mädchen, so daß „wir in Zukunft, wenn wir von Abtreibung sprechen, immer von der Verantwortung beider Partner reden“. Nicht Strafvorschriften würden die Anzahl der Schwangerschaftsabbrüche senken, sondern eine verantwortliche Familien- und Sozialpolitik. Letztlich bleibe jedoch die Entscheidungsfreiheit über den eigenen Körper die wichtigste Bedingung; der Paragraph 218 bedeute Bevormundung und Fremdbestimmung der Frauen.

Viele DDR-Frauen seien sich bisher nicht bewußt, welche Verschärfungen auf sie zukämen. Im Kompromißpaket bei den Koalitionsverhandlungen sei der Paragraph 218 ausgespart worden; der Verdacht liege nahe, daß bis zu den Kommunalwahlen auch nicht öffentlich darüber diskutiert werden solle. Um dem entgegenzuwirken, hat sich der Arbeitskreis zum Ziel gesetzt, sein Anliegen in verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Gremien bis hin in die Wohngebiete fortzuführen. Auch will man intensiver mit der Westberliner und westdeutschen Frauenbewegung gegen den Paragraphen 218 zusammenarbeiten. Eine „Kampfansage“ an die neue Regierung unter dem Titel „Grenzenloses Unbehagen gegen §218“ soll deshalb die Kundgebung am Sonntag, 22. April, 14.30 Uhr vor der Volkskammer werden. Anschließend Demo Richtung Unter den Linden zum „Tag der Erde„-Fest.

Sigrid Bellack

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