Ann-Kathrin Leclere Sportsfroindin: Dancehall tanzen bis zum kollektiven Rausch, natürlich immer mit Hüfte
Okay, ich geb’s zu. Ich war nicht ganz ehrlich, als ich meinte, ich könne mich zu keiner Sportart wirklich commiten. Denn ein Sport begleitet mich, seit ich denken kann: Tanzen. Ich tanze gern und oft. Eine meiner frühesten Erinnerungen: Ich auf einer Bühne bei irgendeiner Hochzeit, die Fäuste geballt, zwischen den Beinen der Erwachsenen tanzend. Die zweitfrüheste: verschwitzte Nächte in fragwürdigen Clubs mit fragwürdigen Typen in weißen Sneakern, während Sean Paul und Seeed aus den Boxen dröhnten. Später dann Raven bis in den Morgen, drei Tage am Stück, schmerzende Beine inklusive.
Es wird also höchste Zeit, dass ich das Tanzen offiziell zu meinem Sport erkläre – und zwar mit einer Tanzstunde. Aber nicht irgendeine. Ich will Dancehall tanzen. Über den Stil weiß ich vor meiner ersten Stunde wenig. Nur, dass er aus Jamaika kommt, viel mit Hüfte zu tun hat – und dass ich ihn eigentlich längst gehört habe. Beim Reinhören erkenne ich etliche Songs: Auch Sean Paul und Seeed machen Dancehall, sogar Justin Biebers „Sorry“ hat einen Dancehall Beat.
Im Berliner Tanzstudio sind etwa dreißig Leute, vorne eine Spiegelwand. Ich bin nervös. Nicht nur, weil ich schlecht im Merken von Choreos bin, sondern weil ich mich frage: Dürfte ich hier überhaupt sein? Dancehall ist kein beliebiger Tanzstil, sondern Teil einer Schwarzen, karibischen Kultur. Eine Kunstform, entstanden in den Communitys Jamaikas – mit politischem, körperlichem und sozialem Ausdruck. Und ich, weiße Mitteleuropäerin, bewege mich hier einfach so.
Ich will nichts aneignen, sondern lernen. Aber genau das sagen ja viele Weiße, die sich dann mit Dreadlocks auf Festivals fotografieren, und wenn sie keine Lust mehr auf Hippie-Kultur haben, die Haare einfach abschneiden. Gleichzeitig ist das doch auch das Schöne am Tanzen: dass Menschen mit unterschiedlichen Geschichten, Herkünften und Körpern in einem Raum stehen und sich gemeinsam bewegen – und diese Unterschiede für einen Moment vielleicht egaler werden. Aber auch da hab ich gut reden.
Viel Zeit zum Nachdenken bleibt nicht, denn es geht direkt los mit „Miss Fatty“ von Million Stylez. Ich bin beruhigt. Kenne ich, hab ich schon dazu getanzt. Kann ja nicht so schwer sein. Spoiler: Doch, kann es. Die Lehrerin zeigt die Bewegungen: Arme auf Brust und Oberschenkel tappen, Beine öffnen, schließen, Hüfte kreisen. Ich sehe mich im Spiegel und finde, ich sehe dabei sehr ungelenk und sehr kartoffelig aus.
Nebenbei erklärt sie, woher die Schritte kommen, ob sie „old school“ oder „new school“ sind. Sie sagt, man soll den Tanz feiern, Freude haben, aber sich auch mit dem Kontext beschäftigen – mit der Geschichte und den Lebensrealitäten, aus denen Dancehall kommt. Armut zum Beispiel.
Es ist ungewohnt bis unangenehm, mich im Spiegel tanzen zu sehen. Das überlasse ich lieber den anderen, bei denen es so nice aussieht, dass es schon Spaß macht, zuzuschauen. Mein Lieblingsmove heißt, glaube ich, „vibing“ – die Hände bewegen sich in wellenartigen Bewegungen um den Körper, natürlich immer mit Hüfte. Am Ende teilt die Lehrerin uns in zwei Gruppen. Wir tanzen das Gelernte, und dann ist da das Gefühl, dass ich vom Tanzen kenne: kollektiver Rausch, Energie, Verbindung. Für einen Moment denke ich nicht darüber nach, wer ich bin oder woher ich komme oder dass ich mit dieser Kolumne schon wieder extrem spät dran bin.
Ob es in Ordnung ist, dass ich hier tanze, weiß ich nicht. Vielleicht ist es auch okay, die moralische Checkliste zu Hause zu lassen, zuzuhören und zu lernen. Ich bin jedenfalls dankbar, hier gewesen zu sein.
PS: Diese Kolumne wurde zu einem Dancehall-Remix geschrieben.
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