Das ganz andere Kinogefühl: Anleitung zum Hitchcockgucken
■ Worauf man bei dem Thriller „Der unsichtbare Dritte“ heute besonders achten sollte
Natürlich ist es anmaßend, wenn ein Filmkritiker dem zahlenden Kinopublikum vorschreiben will, wie es gefälligst einen Film anzusehen hat. Die einzige Ausnahme dafür wäre, wenn es bei einem besonderen Film soviel versteckte Details, Facetten und Kuriositäten gibt, daß es einfach schade wäre, wenn die Zuschauer nichts davon wüßten und deshalb darüber hinwegsehen müßten. Hitchcocks „Der unsichtbare Dritte“ ist solch eine Fundgrube für Cineasten, und wenn dieser Film heute abend im Stadionbad endlich mal wieder auf einer großen Leinwand zu sehen sein wird, achten Sie bitte auf folgendes:
Die Musik
Gleich beim Vorspann schafft es der Komponist Bernhard Herrmann (von dem auch die stechenden Violinen bei der Duschszene aus „Psycho“ stammen) mit einer knapp zwei Minuten langen Sinfonie der Großstadt, das nervöse, energische Lebensgefühl von New York spürbar zu machen. 24 Jahre später klaute der Minimalmusiker Philip Glass diese Musik (sowohl das Thema wie auch die Orchestrierung ähneln sich bis ins Detail), bließ sie zu einer bombastischen Endlosscheife auf, und wurde mit diesem Soundtrack zu „Koyaanisqatsi“ als einer der originellsten Filmkomponisten der 80er Jahre gefeiert.
Mama
Zu Beginn seiner abenteuerlichen Flucht durch ganz Amerika muß sich Gary Grant mit seiner lakonisch-resoluten Mutter abmühen. Diese wendet sich etwa in der Fahrstuhlszene direkt an die Killer und sagt:“Stellen Sie sich vor, mein Sohn bildet sich ein, daß Sie ihn umbringen wollen.“ Ein noch besserer Witz ist es allerdings, daß Jessie Royce Landis, die die Mutter spielt, mit 55 Jahre zur Drehzeit tatsächlich einige Monate jünger war als Grant.
Die fehlende Szene
erzählte Hitchcock Francois Truffaut in dem berühmten Interview:“Ich wollte eine lange Dialogszene machen zwischen Cary Grant und einem Vorarbeiter am Fließband. Hinter ihnen wird ein Auto Stück um Stück zusammengesetzt, es wird aufgetankt und geschmiert, und als sie ihre Unterhaltung beendet haben, ist das Auto, das anfangs ein Nichts war, abfahrbereit und sie sagen: “Ist das nicht toll ?“ Und dann machen sie eine der Autotüren auf, und heraus fällt eine Leiche.“
Der Patzer
Es ist beruhigend, daß es auch in solch einem filmischen Meisterwerk wie diesem einen dicken Fehler gibt: Während der Szene in dem Restaurant am Mount Rushmore zieht Eva Marie Saint blitzschnell einen Revolver und schießt damit auf Grant. Im Hintergrund kann man deutlich sehen, wie ein kleiner Junge unter dem Komparsen sich schon die Finger in die Ohren steckt, bevor die Schauspielerin auch nur ansatzweise nach der Waffe greift.
Mount Rushmore
Hitchcock hätte die Actionszenen gerne direkt am Nationalmonument gedreht, aber die Regierung der USA entzog ihm die Drehgenehmigung, nachdem Hitchcock einem Journalisten auf einer Papierserviette die Gesichter der Präsidenten aufgezeichnet hatte, und dann mit einer gepunkteten Linie den Weg der Schauspieler skizzierte. Die Amerikaner waren empört und ein Kommentator schlug vor: “Mr. Hitchcock soll doch wieder nach England heimkehren und dort Männchen malen, die über das Gesicht der Königin krabbeln.“
Das obzöne letzte Bild
„Der unsichtbare Dritte“ wird schließlich noch gekrönt durch die anzüglichste Schlußeinstellung der Filmgeschichte. Natürlich wäre der ganze Spaß daran verdorben, wenn sie hier beschrieben würde, stattdessen ist dies die Endsequenz von Lubitschs „Trouble in Paradise“, die fast genauso schlüpfrig ist: Nach amourösen und kriminellen Abenteuern versöhnen sich Herbert Marschall und Miriam Hopkins auf dem Rücksitz eines Taxis. Sie öffnet eine große Börse, die auf ihrem Schoß liegt und er zieht ein dickes Bündel mit großen Geldscheinen hervor und stößt es mit einer schnellen, triumphierenden Bewegung dort hinein. Jetzt schauen Sie mal, wie Hitchcock da noch einen draufsetzte. Wilfried Hippen „Der Unsichtbare Dritte“ wird heute abend um 22.30 Uhr im Stadionbad gezeigt
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