: Anklage pokert mit dem Joker
Die Staatsanwaltschaft im Kölner Müllskandalprozess will trotz ihrer „Aktenpanne“ von Freispruch und milden Strafen für die Angeklagten nichts wissen. Die Anklagebehörde will nun mit „neuen fundierten Beweisanträgen“ retten, was zu retten ist
Von Pascal Beucker und Frank Überall
Ein Freispruch für Norbert Rüther? Nein, das könne „nicht in Betracht“ kommen, giftet Staatsanwalt Joachim Roth. Wie auch seine Kollege Robert Bungart ist er schlecht gelaunt. Ganz schlecht gelaunt. Die von dem Vorsitzenden Richter Martin Baur angedachten milden Urteile im Kölner Müllskandalprozess haben ihnen gründlich die Stimmung verhagelt. Auch die möglichen Strafen gegen den Ex-Steinmüller-Manager Sigfrid Michelfelder und Ex-AVG-Geschäftsführer Ulrich Eisermann sind angesichts der Schwere der Tatvorwürfe aus ihrer Sicht „unangemessen und nicht vertretbar“.
Es ist die Woche nach dem Super-GAU der Anklagebehörde. Die wundersame Beweismittelvermehrung, mit der sie am vorvergangenen Montag das Gericht und die Verteidiger „beglückte“, hat mächtigen Wirbel auch über die Kölner Stadtgrenzen hinaus erzeugt. Angesichts von „groben Justizfehlern“ schwinde das Vertrauen der Öffentlichkeit in den Rechtsstaat, klagten unter anderem NRW-Landespolitiker von CDU, FDP und Grünen. Von „Prozess-Posse“ und „Unfähigkeit der ermittelnden Behörden“ war die Rede. Doch davon will die Anklagebehörde nichts hören: „Es gilt, den maßlosen Anwürfen in der Öffentlichkeit entgegenzutreten“, polterte Oberstaatsanwalt Josef Zopp, den Roth und Bungart am gestrigen 32. Verhandlungstag zur Verstärkung mit in den Gerichtssaal gebracht hatten.
Wie zwei trotzige Schulkinder, die Mist gebaut haben, es aber nicht einsehen wollen, sitzen Roth und Bungart auf ihrer Bank und liefern sich Scharmützel mit Richter Baur. Der ist sichtlich verstimmt. Seine Bemerkungen in Richtung der Ankläger wirken wie eine Demontage. So hält ihnen Baur unter Hinweis auf die höchstrichterliche Rechtssprechung immer wieder mangelhaften Umgang mit Anträgen, Beweisen und Zeugenaussagen vor. „Wir sehen das anders als Sie“, entgegnet Bungart bissig.
Warum die Kripo am 12. März Kölns SPD-Chef Jochen Ott vernommen hätte, will Baur etwa wissen. Denn eine staatsanwaltschaftlich angeordnete Vernehmung während einer Hauptverhandlung wäre doch eigentlich nicht zulässig, da Zeugen vor Gericht geladen werden müssten...
Otts Aussage habe ja nichts ergeben, antwortet die Staatsanwaltschaft lapidar. Kein Wunder: Ott war danach befragt worden, ob ihm der besoffene Rüther auf der legendären Geburtstagsparty von Ex-SPD-Schatzmeister Manfred Biciste vor zwei Jahren etwas über mögliche Schwarzgelder verraten habe. Allerdings war Ott gar nicht auf der Party...
Nachdem die Anforderung des Gerichts nach einer Spurenakte nicht kurzfristig beantwortet wurde, setzt die Landgerichtskammer eine Frist von drei Tagen. Dies sei, so räumte Baur ein, im Umgang mit der Staatsanwaltschaft „sehr ungewöhnlich“.
Die Anklagebehörde will nun mit neuen „fundierten Beweisanträgen“ doch noch retten, was zu retten ist. Bis zum 22. April hat sie dafür Zeit. Dann soll die Beweisaufnahme endgültig abgeschlossen sein. Rüthers Verteidiger Georg Leber erwartet indes nicht, dass die Ermittler noch den entscheidenden Joker präsentieren können: „Ich schaue mir dann erst mal ganz in Ruhe die Spielkarte an, die da auf den Tisch geworfen wird.“
Leber wie auch die Verteidiger von Michelfelder und Eisermann können gelassen abwarten. Denn die Strafkammer machte deutlich, dass sie möglichen Aussetzungsanträgen auch nach den Ostertagen weiterhin stattgeben werde. Damit besitzt die Verteidigung weiterhin die Möglichkeit, wegen der nachgereichten Akten eine Neuauflage des Prozesses zu erzwingen.