piwik no script img

Animationsfilm „Belladonna of Sadness“Eine Rebellion in verstörenden Bildern

Einzigartig in der Filmgeschichte: Regisseur Eiichi Yamamoto mischt filmische Experimente und sexuell explizite Animationen.

Ein Liebespaar, das nicht glücklich wird Foto: Rapid Eye Movies

„Diese blasse, durchscheinende Haut / opfert sie morgen, um der Liebe willen. / Scheu wird sie unter Frühlingsblumen / ihren Körper rot färben, / sich umarmen lassen. / Belladonna, wunderschöne Frau / Belladonna, Frau / die geliebt hat. / Die Schritte der Trauer / sind noch nicht / zu hören.“

Kurz nachdem die Stimme Mayumi Tachibanas die letzten Zeilen des Titelsongs zu „Belladonna of Sadness“ gesungen hat, schiebt sich eine schwarze Tuschelinie von links nach rechts ins Bild. Mit einer kleinen Schraffur, die ein Grasbüschel markiert, transformiert sich diese Linie in eine Landschaft. Die Ausschläge nach oben und unten werden stärker, Blumen treten hinzu, Steine, über denen Schmetterlinge spielen.

In einer grafischen Explosion schiebt sich schließlich eine Siedlung ins Bild, Farbe füllt die Räume zwischen dem Schwarz-Weiß der Tuschelinien, Menschen rennen freudig, eine junge Frau hält Blumen in der Hand, ein Hund umspielt sie. Schließlich füllt das Bildnis einer jungen Frau umkränzt von Blumen das Bild. Ein weiteres Lied erzählt die Geschichte der Liebe von Jean und Jeanne, zwei frisch verheirateten jungen Menschen in einem unbenannten Fürstenreich im Mittelalter.

Jean und Jeanne treten nach ihrer Hochzeit vor den lokalen Fürsten, um ihm das traditionelle Hochzeitsgeschenk zu überreichen. Der Kopf des Herrschers ist ein Totenschädel, in dessen toten Augenhöhlen rot die Gier erleuchtet, als er Jeanne sieht. Als der Fürst statt des Preises für eine Kuh den für zehn als Geschenk fordert, fleht Jeanne die Fürstin an, das arme junge Paar zu verschonen. Mit kalten Augen beschließt die Fürstin, dass Jeanne das Geschenk für den Fürsten zu sein hat.

Sozialrebellen der 60er

Kurz nach ihrer Rückkehr zu Jean bekommt Jeanne Besuch von einem kleinen Teufelchen. Jeanne beginnt als Weberin zu arbeiten und durch die Unterstützung des Teufels führt ihre Arbeit sie und ihren Mann schon bald zu Reichtum. Als ein Krieg ausbricht und das Fürstentum schnell große Summen Geld braucht, wird Jeanne mit Hilfe des Teufels Geldverleiherin und gewinnt an politischer Bedeutung.

Da auch der Fürst im Krieg ist und seine Fürstin das Reich in seiner Abwesenheit verwaltet, steigt Jeanne als Geldverleiherin zu einer Art Alternativfürstin auf. Doch während Jeanne aufsteigt, verfällt Jean zusehends. Schließlich verstößt Jean Jeanne, die daraufhin vom Fürsten verhaftet und eingesperrt wird. Jeanne kann fliehen und findet in einem nahe gelegenen Gebirge ein neues Zuhause. Wenig später bricht die Pest unter der Bevölkerung des Fürstentums aus und die Menschen fliehen in Scharen aus der Stadt zu Jeanne in die Berge, werden von ihr mit Pflanzen geheilt und in Räusche versetzt.

Die Bilder, die ­ die Gewalt gegen Frauen in patriarchalen, sexistisch strukturierte Gesellschaften zeigen, verstören noch heute

Eiichi Yamamotos Anime-Klassiker „Belladonna of Sadness“ wurde 1973 erstveröffentlicht und wird nun vom Kölner Verleih Rapid Eye, der sich auf asiatisches Kino spezialisiert hat, erneut in die Kinos gebracht. „Belladonna of Sadness“ ist von Beginn an durchzogen von Gewalt gegen Jeanne. Yamamoto und der Zeichner des Films, Kuni Fukai, finden für die Gewaltexzesse Bilder, die das Geschehen abstrahieren, dadurch aber nur noch mehr verstören.

Die Kombination aus misogyner Gewalt und ästhetischer Stilisierung findet sich in zahllosen japanischen Exploitationfilmen der Zeit wie Toshiya Fujitas „Lady Snowblood“. Aus heutiger Sicht überrascht es, dass das Publikum für Filme wie diese oft überwiegend jung und weiblich war.

Yamamoto adaptiert mit „Belladonna of Sadness“ werkgetreu teils bis in die Dialoge den Traktat „Die Hexe“ des französischen Historikers Jules Michelet von 1862. In diesem entwirft Michelet ein Bild von Hexerei als eine Form volkstümlicher Rebellion gegen den Feudalismus und die Kirche. Eine wichtige Ergänzung macht Yamamotos Film: Er benennt Michelets namenlose Hexe, und zwar in deutlicher Anlehnung an die französische Nationalheldin Jeanne d’Arc.

Vor dem Hintergrund der Faszination für historische Sozialrebellen in den 1960er Jahren nutzt Yamamoto Michelets Deutung der Hexerei, um gesellschaftliche Repression zu entlarven und eine sexualisierte Rebellion gegen diese zu beschwören. Ähnliche Intentionen trieben in Europa die beiden italienischen Comicautoren Guido Crepax und Milo Manara um. Gemeinsam mit Art-Director Kuni Fukai und Chefanimator Gisaburo Sugii findet Yamamoto beklemmend intensive Bilder. Jeanne wird wiederholt vereinzelt einer bedrohlichen Bevölkerung gegenübergestellt, kontrastiert in filigraner Linienzeichnung mit bedrohlichen Farbflächen. Zugleich ist „Belladonna of Sadness“ ein hippes Blumenkind: Schon die ersten menschlichen Figuren des Films sind deutlich von der Bildsprache der 1960er Jahre geprägt, man fühlt sich zugleich an die Animationen von Robert Balser und Jack Stokes für den Beatles-Film „Yellow Submarine“, an Pop-Art und Andy Warhol und die Undergroundcomics jener Zeit erinnert.

Aquarelle wie bei Klimt

Der Film wechselt zwischen verschiedenen Bildformen, kombiniert aquarellierte und schwarzweiße Tuschezeichnungen, flächige Aquarelle, die an Gustav Klimt und die Wiener Sezession erinnern. Während die Animation oft lediglich darin besteht, dass die Kamera über die Bilder Kuni Fukais gleitet, sind zentrale Szenen klassisch animiert.

„Belladonna of Sadness“ war nach „A Thousand and One Nights“ und „Cleopatra“ der dritte und letzte Teil der sogenannten Animerama-Trilogie erotischer Animationsfilme für Erwachsene, die die Produktionsfirma Mushi Productions auf dem Höhepunkt der ersten Welle der Pinku eiga (also des japanischen Sexfilms) konzipiert hatte. Mushi Productions war Anfang der 1960er Jahre durch eine der wichtigsten Figuren der japanischen Manga- und Animeszene, durch Ozamo Tezuka gegründet worden. Kurz nach Beginn der Produktion von „Belladonna of Sadness“ verließ Tezuka die Firma. Kurz nach der Fertigstellung des Films ging Mushi Productions pleite.

Dass der Film nun erneut in die Kinos kommt, verdankt sich einer Initiative des amerikanischen Verleihs Cinelicious. In langwieriger Arbeit überzeugte der Verleih die japanischen Rechteinhaber, ihm das Originalnegativ für eine Restaurierung des Films zur Verfügung zu stellen. Als dies schließlich gelungen war, stellte sich heraus, dass an dem Negativ nachträglich Kürzungen vorgenommen worden waren, anscheinend in der Absicht, den Film Ende der 1970er Jahre erneut in Japan in die Kinos zu bringen.

„Belladonna of Sadness“

„Belladonna of Sadness“. Regie: Eiichi Yamamoto. Japan 1973, 86 Min.

Nach längerer Suche fand sich in der Cinemathek in Belgien schließlich die vermutlich einzige überlebende 35-mm-Kopie in Originallänge. In minutiöser Arbeit ergänzte Cinelicious die fehlenden Stellen aus dieser Kopie und konnte so eine restaurierte Fassung in Originallänge erstellen.

Seine Bildgewalt und die Mischung aus Experimentalfilm und sexuell explizitem Animationsfilm machen „Belladonna of Sadness“ einzigartig in der Filmgeschichte.

Die Bilder, die Yamamoto und Fukai für die Gewalt gegen Frauen in patriarchalen, sexistisch strukturierte Gesellschaften gefunden haben, verstören noch heute, das feministische Ende des Films wirkt zunächst irritierend. Wer sich der Zumutung der verstörenden Bilder aussetzt, wird in „Belladonna of Sadness“ jedoch einen der Meilensteine des animierten Films sehen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • 3G
    34970 (Profil gelöscht)

    Uns fehlt die Tradition des erwachsenen Cartoons. Würde ich heute so einen Film produzieren würden sofort alle Moralapostel auf der Mauer hocken und "Sünde" krächsen in ihrem blinden Wahn. Deswegen sind auch nur solche Knallbunten Animes bei uns zu sehen wie Chihiros Reise ins Zauberland oder Porco Rosso. Es muss immer alles möglichst harmlos bleiben damit sich auch ja kein Knirps in einem erwachsenen Cartoon verläuft bei dem auch schonmal gelitten und gestorben wird wie in Jin Roh, Ghost in the Shell oder Prinzessin Mononoke zB. Dabei entfalten Animes ihre ganze Kunst grade bei diesen erwachsenen, emotionalen Themen. Ja was das anbelangt sind wir Westler die Hardliner, Betonköpfe und Ultra Orthodoxen die um Jahrzehnte den Wandel verschlafen haben was Cartoons anbelangt.