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Angst vor den DDR-Agrarbetrieben

■ In der BRD-Landwirtschaft hofft man auf den Ruin wenigstens der Hälfte aller LPGs / Die „Selbstheilungskräfte“ des Marktes sollen die lästige Konkurrenz aus der DDR ausschalten

Niddatal (ap) - „Alle reden von den Bauern in der DDR, aber wie es uns geht, das interessiert niemanden.“ Die Frau aus Nidderau im hessischen Wetteraukreis ist verbittert. Zum letzten Mal haben sie und ihr Mann in diesem Jahr ihre 13 Hektar Ackerfläche bestellt. „Es rentiert sich einfach nicht mehr. Dabei ist das so guter Boden“, sagt sie und zeigt über das hügelige Land, das mit Bodenwerten zwischen 60 und 80 von 100 möglichen Punkten zu den fruchtbarsten Gebieten in der Bundesrepublik gehört. Doch auch die größeren Höfe sorgen sich immer mehr vor der DDR-Konkurrenz.

EG-Höchstmengenverordnungen, Qualitäts-, Hygiene- und Umweltanforderungen, hoher Kapitalbedarf für Maschinen, Stallungen, Dünge- und Spritzmittel bei seit Jahren sinkenden Erzeugerpreisen - schon jetzt geben in der BRD jedes Jahr Tausende von Betrieben auf. Etwa 2,5 Prozent der derzeit insgesamt 645.000 Höfe legen nach Angaben des Verbandes der Landwirtschaftskammern jährlich ihren Betrieb still.

Allein im kleinen Wetteraudorf Niddatal-Kaichen haben in den vergangenen zehn Jahren 11 der ehemals 26 Vollerwerbsbetriebe dichtgemacht. Übriggeblieben sind die großen Höfe mit 40, 50 und mehr Hektar Ackerfläche. „Groß“ seien diese Betriebe allerdings nur nach bundesdeutschen Standards, erläutert Günther Fratzscher, der Sprecher des Bonner Verbands. Hier betrage die durchschnittliche Betriebsgröße von Vollerwerbsbetrieben gegenwärtig 29 Hektar. In der DDR dagegen haben die rund 3.800 Großbetriebe, die in LPGs und Volkseigenen Betrieben (VEB) organisiert sind, eine mittlere Größe von 4.000 Hektar.

„Die Bauern in der DDR haben die besten Voraussetzungen“, meint Klaus Merz, Jungbauer auf einem 70-Hektar-Betrieb in Kaichen, der erst vor kurzem DDR-Betriebe besichtigt hat: „Mit ihren guten Böden, den großen Flächen und Ställen können die mit entsprechender Starthilfe extrem wirtschaftlich produzieren.“ Jeder mache sich Gedanken über die unerwartete Konkurrenz aus der DDR, berichtet Merz. „Viele hoffen darauf, daß in den nächsten Jahren erst mal die Hälfte der Großbetriebe in der DDR kaputtgeht. Aber die, die überleben und richtig geführt werden - in fünf bis sechs Jahren sehe ich für uns schwarz“, meint Merz.

Werner Viehmann, der mit seiner Frau einen 44-Hektar-Hof im benachbarten Bruchköbel bewirtschaftet, sieht der Entwicklung gelassener entgegen: „Solange in der DDR alles staatlich ist, habe ich keine Angst.“ Auch in der Erntezeit nach nur acht Stunden Feierabend zu machen, wie er das von der DDR gehört habe, das gehe in der Landwirtschaft einfach nicht. Da könne kein Betrieb ohne zusätzliche Unterstützung überleben. Wie Merz und viele andere hofft auch Viehmann auf die „Selbstheilungskräfte“ des Marktes, die viele LPGs und VEBs auch nach dem Willen der Politiker untergehen lassen werden.

„Kein Grund zur Sorge“, meinte denn auch der Generalsekretär des Deutschen Bauernverbands, Rudolf Schnieder, im 'dlz-Magazin‘ der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft. In der DDR sei die Arbeitsproduktivität halb so hoch wie in der Bundesrepublik. Die Flächenerträge lägen um 20 bis 30 Prozent niedriger, die Leistungen pro Kuh und Schwein seien um 30 Prozent geringer. Dagegen seien, bezogen auf die Fläche, rund 50 Prozent mehr Arbeitskräfte eingesetzt. Wie lange noch, so fragen sich aber viele, ist die Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaft in den traditionellen Ackerbaugebieten der Magdeburger Börde, des Thüringer Beckens oder der Leipziger Tieflandbucht von diesen Mängeln beeinträchtigt?

Schon warnen auch bundesdeutsche Bauernverbände und Landwirtschaftsminister vor den Auswirkungen der deutschen Vereinigung auf die landwirtschaftlichen Betriebe hüben wie drüben. „Schwere Störungen auf den Märkten für Vieh und Fleisch“, sagte kürzlich Heinz Christian Bär, der Vizepräsident des Hessischen Bauernverbandes, im hessischen Friedberg voraus - am 1.August fallen die bisherigen Handelsschranken mit der DDR, so daß Schweine und Rinder aus der dortigen Viehhaltung verstärkt auf den bundesdeutschen Markt geliefert werden. Die Existenz der bundesdeutschen Mäster werde dadurch zunehmend gefährdet, warnte Bär.

Der neue Landwirtschaftsminister von Niedersachsen, Karl -Heinz Funke, forderte bereits Stützungsmaßnahmen zur Bewahrung der bäuerlichen Strukturen in der Bundesrepublik. Billiglieferungen aus der DDR machten die heimischen Betriebe kaputt. Umgekehrt gingen die ostdeutschen Betriebe pleite, weil sie selbst zu diesen Preisen nicht wirtschaftlich produzieren könnten.

Wie immer die Entwicklung in der Landwirtschaft der DDR weitergeht, für Viehmann steht schon jetzt fest, daß sein Hof noch höchstens 20 Jahre bewirtschaftet wird. Allein der Traktor kostet 80- bis 100.000 Mark, der Mähdrescher ist nicht unter rund 200.000 Mark zu haben.

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