: Angehörige müssen lernen, um Hilfe zu bitten
300.000 Menschen in NRW leiden unter Demenz, vergessen Namen, Gesichter, Fähigkeiten wie Essen und Trinken. Morgen informiert ein Hilfszentrum in Köln Angehörige und Betroffene. „Viele brechen unter der Pflege zusammen“
KÖLN taz ■ Mit 70 war Opa noch ein rüstiger Mann. Als er die Namen seiner Enkel vergaß, nahm die Familie das noch als Marotte hin. Dann vergaß er, die Herdplatte auszuschalten; zum Glück wurde das rechtzeitig entdeckt. Seine Angehörigen beschlossen, besser auf ihn aufzupassen. Als der alte Mann dann aber immer vergesslicher wurde, waren die Kräfte seiner Familie bald erschöpft – er kam, wenn auch mit schlechtem Gewissen, in ein Pflegeheim.
Ein fiktiver Fall – aber durchaus typisch für Altersvergesslichkeit. Und weil die Menschen immer älter werden, nehmen die Fälle von Demenz zu: Rund 1,2 Millionen BundesbürgerInnen leiden heute an dieser Krankheit. 300.000 sind es in Nordrhein-Westfalen, in Köln allein mehr als 12.000. Mit 3.000 Neuerkrankungen jährlich rechnen Gesundheitsexperten der Domstadt. Demenz ist nicht heilbar, der geistige Verfall kann bestenfalls verzögert werden.
In Köln nahm im April das Demenz-Servicezentrum für die Region Köln und das südliche Rheinland seine Arbeit auf. Es ist das jüngste von acht in Nordrhein-Westfalen, weitere gibt es unter anderem in Düsseldorf, Münster, Aachen und Dortmund. Finanziell gefördert vom Landessozialministerium und den Pflegekassen und koordiniert vom Kuratorium Deutsche Altershilfe sollen sie ein Netzwerk für schon bestehende Organisationen aufbauen, neue Hilfskonzepte erarbeiten und die Öffentlichkeit über die Krankheit informieren. Denn immer noch ist Demenz ein Tabuthema.
„Da sind zum Beispiel die Angehörigen,“ sagt Stefan Kleinstück, Leiter des Kölner Zentrums. „Viele brechen unter der Pflegearbeit zusammen. Doch sie schämen sich, um Hilfe zu bitten. Denn dann, so glauben sie, zeigen sie, dass sie der Aufgabe nicht gewachsen sind.“ Für die heutige Generation sei es noch eine Selbstverständlichkeit, den kranken Ehepartner, die kranke Mutter oder den Vater zu pflegen, hat Kleinstück beobachtet. „Aber die Jugendlichen von heute haben, besonders in den Städten, oft keine Beziehung mehr zum Alter und zu alten Menschen.“ Schuld daran sei unter anderem die Forderung nach beruflicher Mobilität. Denn wer an Demenz leide, braucht Hilfe. Das aber widerspreche dem modernen Ideal von Selbstständigkeit und autonomen Leben, vermutet Kleinstück.
Mit dem niedrigschwelligen Angebot so genannter „Cafés Offerte“ hofft er, die Angehörigen zu erreichen. Hier können sie dann zum Beispiel Informationen über die ihnen gesetzlich zustehende „Pflegeleistungsergänzung“ erhalten. Die beträgt jährlich 460 Euro pro betreuter Person, wird aber aus Unwissenheit oft nicht beantragt. Damit können Betreuungsstunden bezahlt werden, so dass die Angehörigen auch einmal Zeit für sich haben. Am morgigen Samstag lädt Kleinstück erstmals in Köln alle „Akteure“ zu einem öffentlichen „Themenmarkt Demenz“ ein: Kranke, Angehörige, soziale Initiativen, Selbsthilfegruppen, Wirtschaftsunternehmen, Ärzte.JÜRGEN SCHÖN
„Demenz – Hilfe jetzt und in der Zukunft“, 22. Oktober, 9-16 Uhr, Bürgerzentrum Altenberger Hof, Köln