■ Soundcheck: Andrew Strong / Die tödliche Doris
Gehört: Andrew Strong: Das Konzert hatte Filmniveau: Ex-Commitments-Sänger Andrew Strong brachte am Donnerstag in der Großen Freiheit seine Rolle als Musiker schauspielerisch perfekt auf die Bühne. Wie ein Rockstar kam der blonde Ire daher und mimte den Frontman seiner sechsköpfigen Studio-Band. Andrews Stilmittel, von Meat Loaf (Outfit) und Joe Cocker (wackelige Gesten bei den schmachtenden Blues-Stücken) entliehen, verrutschten während des gesamten Auftrittes nicht, in weißem Bäckerhemd und schwarzer Weste wirkte er etwas gestopft, die Wollmütze stets nett über den Langhaarschopf. Das obligatorische „Hello Hamburg, how do you feel...“, genau richtig nach vier schmissigen Rhythm'n Blues-Stimmungs-Songs. Das Publikum machte brav mit, klatschte, nicht zu laut, nicht zu leise, wurde noch einmal enthusiastisch beim neuen Hit „Ain't Nothing You Can Do'“. Noch schnell ein knappes Solo des Lead-Gitarristen, einwandfrei, das letzte Lied endete, kurz bevor es für die Musiker gefährlich soulig werden konnte. Der viel zu laute Sound konnte nicht verbergen, daß Andrews Stimme zum Schluß schwächer und krächziger wurde, nach 80 Minuten „Goodbye...“. Schön anzuschauen noch Andrews zweite Zugabe, mit strahlend-weißem Handtuch und endlich ließ er, die Wollmütze vom Kopf, seine Koteletten sehen.
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Gehört: Die Tödliche Doris. Das Westwerk in der Admiralitätstraße ist ein Ort mit angedickter Atmosphäre. Es riecht nach Avantgarde, in der Luft liegen Interdisziplinen, im Haus wohnen Künstler. Statt daß ihnen Hören und Sehen vergeht, strahlen Besucher bei Veranstaltungen Sachverstand ab. Bereits eine ihrer nervösen Handbewegungen zum Kopf signalisiert Intensität. Geschmunzeltes Getuschel während einer Aufführung belegt die flotte Respektlosigkeit beim routinierten Gang durch den Kunstbetrieb. Das Publikum im Westwerk möchte sichergehen, daß von der Bühne nur schlechte Witze runtergepinkelt werden.
Die Berliner Wolfgang Müller und Käthe Kruse von der Tödlichen Doris legten in diesem Rahmen fit wie Trampoline los. Aufgekratzt und charmant, mit Ideen dicht an dicht skandierten die beiden eine Plattenbesprechung ihres Albums Unser Debut, bis aus dem geschriebenen Text eine gesprochene John-Cage-Oper geworden war. Mit Gedicht und Song, Tanz und Stellungnahme führten die beiden nüchterne Hommagen an bisher ungedachte Gedanken auf: Wie aus dem „Tanz im Quadrat“ ein „Tanz im Würfel“ wurde. Wie ein Claire-Waldorff-Stück das Material für Cut up-Lyrik liefert. Wie eine „unsichtbare Platte“ sich anhört. Die Erkenntnisse purzelten: Wer sieht, der bewundert, wer erkennt, der verehrt. Die Tödliche Doris holt sich ihre Themen aus der Ewigkeit herunter, tanzt Ringelreihen um den Gegenstand und baut aus Hermeneutik eine Lachnummer. Zum Schluß glänzten Kruse und Müller mit ein paar steggereiften ChaChaCha-Schlagern. Die Tödliche Doris: Quicklebendig. Kristof Schreuf
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