piwik no script img

Anarchie auf den Straßen

■ Ein alternativer Verkehrsexperte setzt auf den Zusammenbruch des Autoverkehrs

Im ICC tagt zur Zeit die Internationale der Asphalt- und Betonpistenbauer („Straßen und Verkehr 2000“). Ihr Ziel: Immer mehr Verkehr auf intelligenteren Straßen. Ein Bündnis aus 15 Anti-Initiativen hat Gegenveranstaltungen organisiert. Am Dienstag trat Hans Joachim Rieseberg auf, Autor mehrerer Bücher über Umweltzerstörung.

taz: Herr Rieseberg, wer sitzt da im ICC zusammen?

Rieseberg: Es sind angeblich Verkehrsexperten. Ich halte das für eine gespenstische Veranstaltung, für eine Art Endzeit -Vision.

Wieso Endzeit-Vision?

Wenn die dort sagen, „die Bevölkerung hat über das Auto längst abgestimmt“, und gleichzeitig in Kauf nehmen, daß es durch das Auto weltweit jährlich 500.000 Tote gibt und 15 Millionen Verletzte, und dieses System durch Logistik und Planung fortschreiben wollen, dann sage ich dazu: Wahnsinn.

Herr Diepgen hat ja in seinem Grußwort von der „angeblichen Unwirtlichkeit unserer Städte“ gesprochen. Zynismus?

Ich glaube, daß ist unabsichtlicher Zynismus. Er übersieht das einfach nicht mehr, denn er sieht die Probleme aus einem System heraus, das ihm den Sinn für die Wirklichkeit vernebelt.

Weil er selber das Auto benutzt?

Er muß es, so wie er sich die Termine gibt, ständig benutzen. Das schafft zwischen ihm und seiner Umgebung die berühmte Windschutzscheibe, die ihm das automobile Denken ermöglicht.

Sie selbst halten nichts von Verkehrsplanung, weil diese nur dazu beitrage, die Probleme, die das Massenverkehrssystem Auto schafft, zu vertagen.

Ich sehe momentan, daß eine regulierende Verkehrsplanung, wie wir sie bisher hatten, nur das Leiden des Patienten Stadt verlängert. Der Patient liegt an den Maschinen, steht kurz vor dem Kollaps, da hilft nur eine radikale Heilung. Das Auto muß raus aus der Stadt. Die einzige Forderung, die ich vernünftig finde, ist Tempo 30. Man kann nur hoffen, daß die Stadt sich weiter zufährt, daß das Chaos größer wird.

Sie rufen ja die schwächeren Verkehrsteilnehmer dazu auf, noch mehr Anarchie zu betreiben, diskriminierende Regeln nicht mehr zu beachten.

Ich rufe die Schwächeren auf, sich vernünftig zu verhalten. Das produziert automatisch Anarchie.

Was unterscheidet ihre heilsame Anarchie, die zum Zusammenbruch führen soll, denn von der, die jetzt schon herrscht? Wird es noch mehr Tote geben?

Das glaube ich nicht. Es wird mehr Tote nur da geben, wo die Brutalität der Autofahrer aufgrund ihrer Streßsituation zunimmt. Das kann man sowieso nicht aufhalten. Aber wenn der schwächere Verkehrsteilnehmer erkennt, daß er wirklich schwächer ist, daß er sich schlau verhalten muß, dann hat er eine bessere Überlebenschance, als wenn er an Verkehrsregeln glaubt.

Was sind denn nun ihre Perspektiven?

Es wäre Wahnsinn, das Auto-System reformieren zu wollen. Man kann nur an immer mehr Stellen darauf aufmerksam machen, daß das ein Chaos ist. Was stattfindet, ist Krieg. Deshalb brauchen wir eine Art Friedensbewegung, die mit immer mehr Blockaden vielleicht eine positive Wendung bringen kann.

Interview: henk

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen